Friedrich Boettcher, alias Fredy Neptune, der australische Seemann aus einer deutschen Immigrantenfamilie, wird während des Ersten Weltkriegs Zeuge der türkischen Greueltaten gegen die Armenier. Als er sieht, wie eine Gruppe von Frauen bei lebendigem Leib verbrannt wird, ist das der Schock seines Lebens. Er merkt, daß er von nun an keine Empfindungen mehr wahrnimmt, allerdings fortan zu immensen Kraftleistungen im Stande ist. Fredy versucht, nach Australien zurückzukehren, doch seine deutsche Herkunft wird ihm zur Last gelegt, womit kaum mehr ein Ort existiert, wohin er heimkehren könnte. Und so wird Fredy ins kalte Wasser der Geschichte geworfen und kämpft darum, den Kopf oben zu behalten. Die Umstände führen ihn nach Amerika, wo er sich als Hobo durchschlägt und in Hollywood kleine Filmrollen übernimmt, und nach Deutschland. Er verkehrt in den verschiedensten Kreisen, ist gleichwohl mit Pennern wie mit der Elite zu sehen, wird als deutscher Held bejubelt, um dann wieder in Vergessenheit zu geraten. Als Zeuge des Entsetzens der beiden Weltkriege im 20.Jahrhundert, versucht Fredy (erfolglos) sich zurückzuziehen, um ein möglichst einfaches Leben zu führen. Doch erst am Ende ist es ihm vergönnt, sein menschliches Empfindungsvermögen zurückzugewinnen.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Ein Stück Weltliteratur hat Jürgen Brocan entdeckt und eine Stilgattung, die hierzulande beinahe ausgestorben ist: den Versroman. In angelsächsischen Ländern sei das anders, weiß Brocan und beruft sich auf Derek Walcott, Edward Dorn, W.S. Merwin und Robinson Jeffers. Dieser Liste ist nun ein fünfter Name hinzuzufügen, der des Australiers Les Murray, der mit "Fredy Neptune" ein "wort- und bildgewaltiges" Werk, so Brocan, einen Epochenroman in Versform entworfen hat. Der Übersetzer Thomas Eichborn habe diese Herausforderung hervorragend gemeistert, lobt der Kritiker, der Murrays Figur Fredy Neptune alias Friedrich Boettcher, Sohn deutschstämmiger Australier, als entfernten Verwandten von Wezels "Belphegor" oder der Filmfigur "Forrest Gump" empfindet. Denn Murrays Protagonist gerate stets zwischen alle Fronten, erlebe zwei Weltkriege und den Genozid an den Armeniern, den Rassismus der Nationalsozialisten, der Japaner und der eigenen Regierung, kurzum: er sei ein pikaresker Held, der durch ein wahnsinnig gewordenes Jahrhundert reise. Zutiefst pessimistisch und nobelpreisverdächtig, schließt Jürgen Brocan emphatisch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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