Literatur von einem anderen Planeten: Roberto Bolanos posthum erschienener Jahrhundertroman "2666" über die unaufgeklärte Mordserie an Frauen in Mexiko ist eine atemberaubende Reise ins finstere Herz der modernen Welt. Wir begeben uns auf die Suche nach dem Schriftsteller und ehemaligen Nazi Benno von Archimboldi der in Santa Teresa, einer Wüstenstadt an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, verschwunden ist. Ebendort wurden Hunderte von Frauen Opfer von Vergewaltigung und Mord. Wer sind die Mörder, und was hat Archimboldi mit ihnen zu tun? Das literarische Vermächtnis des aus Chile stammenden und 2003 in Barcelona verstorbenen Bolano ist Gangster- und Bildungsroman, Science-Fiction und Reportage.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit diesem Buch versucht Roberto Bolano noch einmal - wie Cervantes, Proust, Sterne - die Welt in ihrer Totalität zu erfassen. Aber es führt in einen Abgrund, warnt Rezensent Andreas Breitenstein, in dessen ausführlicher, ernster Kritik man eine tiefe Erschütterung spürt. Der Abgrund liegt in Santa Teresa, einem kleinen Ort an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Er ist eine Metapher für den Wahnsinn der globalisierten Welt, aber auch Realität, so Breitenstein. In Ciudad Juarez, dem realen Vorbild für Santa Teresa, wurden zwischen 1993 und 2003 etwa vierhundert Frauen und Mädchen, meist Wanderarbeiterinnen, ermordet. Um die Höllengeschichte dieses Ortes gruppieren sich verschiedene Personen, lesen wir: vier Literaturwissenschaftler, die den verschwundenen Autor Archimboldi suchen im ersten Buch. Ein Philosophieprofessor und Archimboldi-Fachmann im zweiten Buch. Dessen Tochter und ein schwarzer Gesellschaftsreporter im dritten Buch. Die Opfer der Morde und die Ermittler im vierten Buch. Und schließlich im fünften Buch der verschollene Schriftsteller Archimboldo mit einer ganz eigenen Geschichte, die 1920 in Europa beginnt und über die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs nach Santa Teresa führt. Das alles wird nicht einfach realistisch, aber doch narrativ erzählt, erklärt Breitenstein. Fürchten müsse man sich vor der Stoffmenge (1264 Seiten) daher nicht. Mit dem Beschriebenen ist es eine andere Sache. "Von der linken Utopie der Erlösung ist in '2666' die Verwandlung des Schmerzes in Form übrig geblieben und der Versuch, in einer erodierenden Wirklichkeit die Würde des Ich und die Souveränität der Sprache zu bewahren", schreibt Breitenstein. Aber die Sprache, erkennt er, muss den Leser nicht erheben, sie kann ihn auch vernichten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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