Aus der Reportage "Wald-Meisters Traum" von Jochen Vorfelder aus dem ADAC reisemagazin Deutschland entdecken:
Acht Uhr, ein Tag Anfang September; es ist noch ziemlich frisch und diesig, aber Mario Schmid liebt diese Zeit des Tages ganz besonders. Dann hängen die Nebelschwaden wie hingetupft über dem Latschensee bei den Hochmooren und hüllen die alten Sommerweiden in ein unwirkliches Licht. Ein erster Lichtstrahl kommt tastend durch, die Sonne sucht vorsichtig den Weg auf die Erde. Gelegentlich klopft ein Specht.
Wanderer trifft man selten, im Winter kommt fast nie einer her, oft liegen zwei Meter Schnee von November bis April. Schmid sagt, hier oben gebe es Luchse und drüben auf der böhmischen Seite auch wieder Wölfe. Hier oben, im Nationalpark Bayerischer Wald entlang der Grenze zur Tschechischen Republik, liegt eines der letzten Urwaldgebiete Deutschlands.
Mario Schmid kennt diesen Wald - rund 24250 Hektar zwischen Bayerisch Eisenstein im Norden und Mauth im Süden - wie nur wenige. Mit 17 Jahren hat er sich beworben beim Forstamt Zwiesel, an der Motorsäge gearbeitet und jahraus, jahrein Holz gemacht. Jetzt ist er 30 und hat sein Leben völlig auf den Kopf gestellt. Seit er 1999 zur Nationalparkwacht wechselte, ist er einer von zwei Dutzend Rangern, die seit der späten Gründung im Nationalpark Bayerischer Wald patrouillieren und nach dem Rechten sehen. Natürlich zu Fuß oder im Winter auf Skiern, will Schmid vermerkt wissen und rechnet aus, dass er bei einem normalen Tagespensum von zehn Kilometern noch zweimal um die Erde marschieren wird, bevor er in den Ruhestand geht.
So schreitet er ruhig aus. Beobachtet Schleuser und Schmuggler an der Grenze, hilft verirrten Wanderern und bringt den Besuchern die Idee des Nationalparks näher: zuschauen, nicht eingreifen, Natur wieder Natur sein lassen. Im Wald komme es auf einen Tag nicht an, sagt Schmid. Wenn der Mann auf seinen einsamen Routen auf Wanderer trifft, sucht er das Gespräch wie ein Evangelist und erzählt aus vollem Herzen: von den Hochmooren und den Aufichtenwäldern unten im Tal, von Rot- und Schwarzwild, vom Marder und vom Fischotter, von mehr als 50 Waldvogelarten wie dem Auerhahn und dem scheuen Schwarzstorch. Er erklärt in einfachen Worten die komplexe Dynamik des Ökosystems als Ort des Werdens und Vergehens und spricht davon, wie überholt die alten Vorstellungen vom ordentlichen, aufgeräumten "Deutschen Wald" inzwischen seien. Während seiner Zeit beim Forstamt hat Schmid selbst noch daran geglaubt, im Nationalpark gelten sie nicht mehr.
Erst 1970 wurde der alte Teil als erster von inzwischen 13 deutschen Nationalparks eröffnet, 1997 kam das Erweiterungsgebiet hinzu. Hier soll aus dem Forst wieder Wildnis und aus der Wildnis wieder Urwald werden. Das will auch Schmid, und deshalb macht er seine Sache gut - manchmal mit mehr Dialekt als Dialektik, aber immer mit Liebe zum Wald. Für ihn sind Tage im Park mehr als Arbeit, und der Wald ist mehr als ein Arbeitsplatz, ist Heimat. Zehn Uhr, es hat etwas aufgeklart. Forstamtmann Reinhold Gaisbauer kommt in seinem betagten Geländewagen vom Höllbachgepreng herunter. Diese Schlucht mit ihren haushohen Wasserfällen und überhängenden Felsabstürzen am Fuß des Großen Falkensteins gehört zu den ursprünglichsten Flecken im Park. Seit Gaisbauers Revier beim Forstamt Zwiesel in den Nationalpark aufgegangen ist, betreut der Förster die Infrastruktur im Erweiterungsgebiet. Er steht also der Schreinerei vor und sorgt unter anderem dafür,
dass die Wander- und Radwege in Ordnung sind. Über mehr als 300 Kilometer können die Besucher sich die kleinen Sensationen des Nationalparks erwandern, in drei Berggaststätten in der Sonne rasten oder sich auf den Weg zur offenen Grenze nach Böhmen und in den angrenzenden tschechischen Nationalpark Sumava machen. Alle Wege sind markiert, für Radfahrer wurden eigens 200 Kilometer im Park reserviert. Tiersymbole wie der Luchs, der Bär oder der Auerhahn auf gelbem Grund kennzeichnen Rundwege zwischen einer und sechs Stunden Fußmarsch; weiße Plaketten verweisen auf Verbindungen zwischen zwei Zielen. Auch der Europäische Fernwanderweg zwischen der Ostsee und der Adria führt durch den Park.
Reinhold Gaisbauers nächstes Ziel auf der Kontrollfahrt ist der Hans-Watzlik-Hain, einer der sechs Nationalpark-Lehrpfade und geführten Rundgänge in speziellem Freigelände. Hier will er den Zustand der Informationstafeln unter die Lupe nehmen. Nein, einfach sei das alles nicht gewesen damals bei der Erweiterung des Nationalparks, da hätten schon einige stark gezweifelt, ob man so riesige und produktive Waldflächen sukzessive bis 2017 aus der Nutzung nehmen und dem Naturschutzgedanken opfern solle, sagt Gaisbauer: "Doch im Grunde hat der Nationalpark dem Bayerwald in den letzten 30 Jahren die großen Fortschritte gebracht."
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Innere Bayerische Wald nämlich eine äußerst strukturschwache Region und eines der Armenhäuser der jungen Republik. Im Winter, wenn der Schnee den Wald für Hirten und Holzarbeiter fast unpassierbar machte, waren oft vier Fünftel der Männer arbeitslos. So gesehen war die Gründung des Nationalparks 1970 das wohl erfolgreichste strukturpolitische Programm, das jemals von einer bayerischen Landesregierung aufgelegt wurde. Heute kommen Jahr für Jahr 2,5 Millionen Touristen, die im Schnitt pro Person und Tag 60 Euro zurücklassen. In den Nationalparkgemeinden, wo sich einst Fuchs und Hase Gute Nacht sagten, ist eine florierende Tourismus-Industrie entstanden: Die "Waldler"-Gegend, wie die Einheimischen sagen, steht heute blendend da.
So blendend wie der wohl einmalige Watzlik-Hain. Gaisbauer erläutert, dass die zwölf Hektar große Fläche nach den glaubhaften Unterlagen der Forstämter seit rund 400 Jahren nicht mehr wirtschaftlich genutzt werde und damit wohl das Areal im Nationalpark sei, das einem unberührten Bergwald am nächsten komme....
Acht Uhr, ein Tag Anfang September; es ist noch ziemlich frisch und diesig, aber Mario Schmid liebt diese Zeit des Tages ganz besonders. Dann hängen die Nebelschwaden wie hingetupft über dem Latschensee bei den Hochmooren und hüllen die alten Sommerweiden in ein unwirkliches Licht. Ein erster Lichtstrahl kommt tastend durch, die Sonne sucht vorsichtig den Weg auf die Erde. Gelegentlich klopft ein Specht.
Wanderer trifft man selten, im Winter kommt fast nie einer her, oft liegen zwei Meter Schnee von November bis April. Schmid sagt, hier oben gebe es Luchse und drüben auf der böhmischen Seite auch wieder Wölfe. Hier oben, im Nationalpark Bayerischer Wald entlang der Grenze zur Tschechischen Republik, liegt eines der letzten Urwaldgebiete Deutschlands.
Mario Schmid kennt diesen Wald - rund 24250 Hektar zwischen Bayerisch Eisenstein im Norden und Mauth im Süden - wie nur wenige. Mit 17 Jahren hat er sich beworben beim Forstamt Zwiesel, an der Motorsäge gearbeitet und jahraus, jahrein Holz gemacht. Jetzt ist er 30 und hat sein Leben völlig auf den Kopf gestellt. Seit er 1999 zur Nationalparkwacht wechselte, ist er einer von zwei Dutzend Rangern, die seit der späten Gründung im Nationalpark Bayerischer Wald patrouillieren und nach dem Rechten sehen. Natürlich zu Fuß oder im Winter auf Skiern, will Schmid vermerkt wissen und rechnet aus, dass er bei einem normalen Tagespensum von zehn Kilometern noch zweimal um die Erde marschieren wird, bevor er in den Ruhestand geht.
So schreitet er ruhig aus. Beobachtet Schleuser und Schmuggler an der Grenze, hilft verirrten Wanderern und bringt den Besuchern die Idee des Nationalparks näher: zuschauen, nicht eingreifen, Natur wieder Natur sein lassen. Im Wald komme es auf einen Tag nicht an, sagt Schmid. Wenn der Mann auf seinen einsamen Routen auf Wanderer trifft, sucht er das Gespräch wie ein Evangelist und erzählt aus vollem Herzen: von den Hochmooren und den Aufichtenwäldern unten im Tal, von Rot- und Schwarzwild, vom Marder und vom Fischotter, von mehr als 50 Waldvogelarten wie dem Auerhahn und dem scheuen Schwarzstorch. Er erklärt in einfachen Worten die komplexe Dynamik des Ökosystems als Ort des Werdens und Vergehens und spricht davon, wie überholt die alten Vorstellungen vom ordentlichen, aufgeräumten "Deutschen Wald" inzwischen seien. Während seiner Zeit beim Forstamt hat Schmid selbst noch daran geglaubt, im Nationalpark gelten sie nicht mehr.
Erst 1970 wurde der alte Teil als erster von inzwischen 13 deutschen Nationalparks eröffnet, 1997 kam das Erweiterungsgebiet hinzu. Hier soll aus dem Forst wieder Wildnis und aus der Wildnis wieder Urwald werden. Das will auch Schmid, und deshalb macht er seine Sache gut - manchmal mit mehr Dialekt als Dialektik, aber immer mit Liebe zum Wald. Für ihn sind Tage im Park mehr als Arbeit, und der Wald ist mehr als ein Arbeitsplatz, ist Heimat. Zehn Uhr, es hat etwas aufgeklart. Forstamtmann Reinhold Gaisbauer kommt in seinem betagten Geländewagen vom Höllbachgepreng herunter. Diese Schlucht mit ihren haushohen Wasserfällen und überhängenden Felsabstürzen am Fuß des Großen Falkensteins gehört zu den ursprünglichsten Flecken im Park. Seit Gaisbauers Revier beim Forstamt Zwiesel in den Nationalpark aufgegangen ist, betreut der Förster die Infrastruktur im Erweiterungsgebiet. Er steht also der Schreinerei vor und sorgt unter anderem dafür,
dass die Wander- und Radwege in Ordnung sind. Über mehr als 300 Kilometer können die Besucher sich die kleinen Sensationen des Nationalparks erwandern, in drei Berggaststätten in der Sonne rasten oder sich auf den Weg zur offenen Grenze nach Böhmen und in den angrenzenden tschechischen Nationalpark Sumava machen. Alle Wege sind markiert, für Radfahrer wurden eigens 200 Kilometer im Park reserviert. Tiersymbole wie der Luchs, der Bär oder der Auerhahn auf gelbem Grund kennzeichnen Rundwege zwischen einer und sechs Stunden Fußmarsch; weiße Plaketten verweisen auf Verbindungen zwischen zwei Zielen. Auch der Europäische Fernwanderweg zwischen der Ostsee und der Adria führt durch den Park.
Reinhold Gaisbauers nächstes Ziel auf der Kontrollfahrt ist der Hans-Watzlik-Hain, einer der sechs Nationalpark-Lehrpfade und geführten Rundgänge in speziellem Freigelände. Hier will er den Zustand der Informationstafeln unter die Lupe nehmen. Nein, einfach sei das alles nicht gewesen damals bei der Erweiterung des Nationalparks, da hätten schon einige stark gezweifelt, ob man so riesige und produktive Waldflächen sukzessive bis 2017 aus der Nutzung nehmen und dem Naturschutzgedanken opfern solle, sagt Gaisbauer: "Doch im Grunde hat der Nationalpark dem Bayerwald in den letzten 30 Jahren die großen Fortschritte gebracht."
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Innere Bayerische Wald nämlich eine äußerst strukturschwache Region und eines der Armenhäuser der jungen Republik. Im Winter, wenn der Schnee den Wald für Hirten und Holzarbeiter fast unpassierbar machte, waren oft vier Fünftel der Männer arbeitslos. So gesehen war die Gründung des Nationalparks 1970 das wohl erfolgreichste strukturpolitische Programm, das jemals von einer bayerischen Landesregierung aufgelegt wurde. Heute kommen Jahr für Jahr 2,5 Millionen Touristen, die im Schnitt pro Person und Tag 60 Euro zurücklassen. In den Nationalparkgemeinden, wo sich einst Fuchs und Hase Gute Nacht sagten, ist eine florierende Tourismus-Industrie entstanden: Die "Waldler"-Gegend, wie die Einheimischen sagen, steht heute blendend da.
So blendend wie der wohl einmalige Watzlik-Hain. Gaisbauer erläutert, dass die zwölf Hektar große Fläche nach den glaubhaften Unterlagen der Forstämter seit rund 400 Jahren nicht mehr wirtschaftlich genutzt werde und damit wohl das Areal im Nationalpark sei, das einem unberührten Bergwald am nächsten komme....