Ein Schwarm von Ärzten und Kranken durchzieht Marcel Prousts Romanzyklus »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Seerosen werden mit Neurasthenikern verglichen, Liebeskranke hoffen, durch Impfstoffe immun zu werden, und im Salon von Madame de Saint-Euverte taucht der Komma- Bazillus, die Cholera, auf. Trotz dieser Überfülle an medizinischen Motiven in Prousts Werk rückte dessen Vater Adrien, seinerzeit als Pionier der Epidemiologie durchaus eine prominente Figur, kaum in den Blick.Lothar Müller bringt Sohn und Vater wieder zusammen und wirft davon ausgehend ein neues Licht auf die Wechselwirkung zwischen moderner Literatur und Medizin. Er zeigt, wie sich der Sohn durch die Forschungswelten des Vaters inspirieren ließ und dass umgekehrt der Vater in seinem Kampf gegen die scheinbar aus dem Orient hereinbrechende Seuchengefahr auf die Formulierungskünste und die Vorstellungskraft seines Erstgeborenen zurückgriff.So entsteht ein meisterhaftes Panorama des flirrenden gesellschaftlichen Lebens einer als Belle Époque verklärten Zeit, in der die psychischen Innenwelten literarisch neu erschlossen wurden und Europa den Globus nach seinen - politischen, kulturellen und hygienischen - Vorstellungen prägte.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Marc Reichwein kann sich auf die kulturhistorische Expertise von Lothar Müller verlassen. Anschaulich und analytisch gekonnt spürt der Autor laut Reichwein in seinem Buch über Marcel Proust und seinen Vater, den Epidemiologen Adrien Proust, den Zusammenhängen von Medizin und Literatur, von Seuche und "Suche" nach. Vor dem Hintergrund der Pandemie liest sich das für Reichwein noch mal so spannend. Für Proustianer schließt Müller definitiv eine Wissenslücke, versichert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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