Das Böse ist für die Literatur seit der Romantik ein Objekt der offenen Anziehung und lustvoll inszenierten Sympathie. Peter-André Alt erschließt in seinem Werk die Geheimnisse einer unmoralischen Literatur, die das Böse als ästhetisches Phänomen jenseits aller Werte sichtbar werden lässt. Erzählt wird auf diese Weise eine andere Geschichte des Schönen, von der Nachtseite der europäischen Moderne. Wie keine andere Kunstform vermag die Literatur das Böse in imaginären Szenerien und Personen zur Anschauung zu bringen. In den überlieferten Figuren des Mythos und den Schreckgestalten des Aberglaubens empfängt es körperliche Präsenz; in psychologischen Novellen und Fallgeschichten erhält es seelische Tiefenschärfe; im Drama gewinnt es die unausweichliche Wucht einer verhängnisvollen Geschehensdynamik. Erst seit der Romantik löst sich die Literatur jedoch von den Zwängen einer moralischen Sichtweise auf die Erscheinungsformen der Sünde. Die moderne Literatur wird unmoralisch in einem programmatischen Sinn und entdeckt die ästhetischen Reize des Bösen in den Sensationen des Verbrechens, den Abgründen des Triebs und den Schrecken der Gewalt. Peter-André Alt geht den verschiedenen literarischen Genres und Formen nach, in denen moderne Texte ihre Lust am Bösen kultivieren. Von Goethe über E.T.A. Hoffmann, Shelley, Baudelaire, Huysmans, Wilde, George, Kafka bis zu Jünger, Genet, Kertész und Littell wird eine Phänomenologie des Bösen erkundet, die bis heute ein moralisches Skandalon bedeutet.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Mit gewissem Grundzweifel, ob das Thema adäquat bewältigt wurde, begegnet Maximilian Probst dem neuen Buch des Berliner Germanisten. Und er formuliert es selbst gleich recht böse: aus seiner Sicht nämlich verwechselt Peter-Andre Alt Literatur und Boulevard, weshalb seine Studie im Grunde eine "Ästhetik des Boulevards" und nicht des Bösen in der Literatur sei, auch wenn er beim Lesen immer wieder auf Interessantes stößt. "Angeschoben" findet der Kritiker die Überlegungen der Studie von Karl-Heinz Bohrer und "in Schwung gehalten" von Hans Blumenberg. Auch bescheinigt der Kritiker dem Autor eine geradezu unheimliche Belesenheit, die einen rasanten Überblick über das Genre ermöglicht und erhellende Achsen durch Kultur- und Literaturgeschichte zu schlagen versteht. Im Verlauf der Lektüre wirkt sich die Komplexität der Darstellung aus Kritikersicht deutlich negativ auf die Spannung der Studie aus. Letztlich findet der Kritiker auch, dass Alt heiklen Fragestellungen aus dem Weg gegangen ist, und sich das Böse auch nicht mit dem bedächtigen Ton eines Oberseminars vermitteln lasse.
© Perlentaucher Medien GmbH
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