Ailin wehrt sich erfolgreich dagegen, dass ihr die Füße eingebunden werden. Sie entscheidet sich für den eigenen Weg.
Ailin möchte rennen und springen und nicht nur so geziert trippeln können wie ihre älteren Schwestern. Darum wehrt sie sich mit allen Kräften dagegen, dass ihr die Füße eingebunden werden. Der Vater unterstützt sie. Doch damit gilt Ailin in ihren Kreisen als nicht mehr heiratsfähig. Sie ist gezwungen, ihren eigenen Weg zu gehen. Immer wieder muss Ailin sich behaupten, gegen ihre Familie und auch in der Auseinandersetzung mit der westlichen Kultur - bis sie schließlich in Amerika die gleichberechtigte Frau eines chinesischen Restaurantbesitzers wird.
Ailin möchte rennen und springen und nicht nur so geziert trippeln können wie ihre älteren Schwestern. Darum wehrt sie sich mit allen Kräften dagegen, dass ihr die Füße eingebunden werden. Der Vater unterstützt sie. Doch damit gilt Ailin in ihren Kreisen als nicht mehr heiratsfähig. Sie ist gezwungen, ihren eigenen Weg zu gehen. Immer wieder muss Ailin sich behaupten, gegen ihre Familie und auch in der Auseinandersetzung mit der westlichen Kultur - bis sie schließlich in Amerika die gleichberechtigte Frau eines chinesischen Restaurantbesitzers wird.
China um 1920: "Ailins Weg"
Wie eine zusammengeklappte Scheibe Brot sehen die Füße von Ailins Schwester aus: Die Zehen wurden unter die Fußsohlen gezwungen. Nun trippeln sie standesgemäß, aber nicht unbeschwert, für das Schönheitsideal und die Tradition des alten China. Ailin möchte aber nicht humpeln, sondern hüpfen. Deswegen wehrt sie sich, als ihre Füße eingebunden werden sollen, und macht das, was Kinder tun, wenn sie keinen Ausweg sehen: Sie läuft von zu Hause fort.
Der Roman beginnt im China der zwanziger Jahre und begleitet Ailins Weg bis ins Erwachsenenalter hinein. Als kleines Mädchen ist Ailin ein echter Trotzkopf. Die chinesische Kinder- und Jugendbuchautorin Lensey Namioka hat mit ihr eine lebhafte Figur geschaffen, die zeigt, daß ein "Nein" von ganzem Herzen besser ist als jedes zittrige "Ja". Lensey Namioka hat die Praxis des Füße-Einbindens zwar nicht mehr am eigenen Leib erfahren, doch die Generation ihrer Mutter lief noch auf malträtierten Füßen.
Wenn nun Namioka von dieser Zeit erzählt, in der patriarchalische Strukturen das Leben der Mädchen und Frauen bestimmten, so schlägt sie dabei nicht den aufgeregten Brustton der Entrüstung an. Sie wertet nicht ab, sondern erzählt nüchtern und genau vom steinigen Weg einer Rebellion. Es sind die Memoiren einer Tochter aus gutem chinesischen Hause, die auch viel über das fernöstliche Land, die ferne Zeit und ein fremdes Leben zutage fördern. Dabei verzichtet Namioka auf jede blumige Exotik. Lieber läßt sie die handelnden Personen selbst zu Wort kommen. Die Dialoge geben dem Roman seine Lebendigkeit, die darüber hinweglesen läßt, daß die Geschichte nur mit wenig überraschenden Momenten aufwarten kann und sich manchmal alles ein wenig zu glatt ins andere fügt.
Das zentrale Thema - so empörend es ist - bietet heute wohl keinen Zündstoff mehr. Bei allen Lesern hierzulande wird Einigkeit herrschen über diese Barbarei. Wichtiger ist, wie Namioka, die selbst in den Vereinigten Staaten lebt, ganz nebenbei vom Fremdsein in der Welt erzählt. Was bei anderen Autoren reichlich angestrengt wirkt - Kindern und Jugendlichen die Ausländerfeindlichkeit aus- und die Toleranz einzureden -, gelingt Namioka wie hingetupft. Zunächst begegnet Ailin in China einer für sie äußerst seltsamen und gewöhnungsbedürftigen amerikanischen Familie. Später wandert sie, inzwischen eine junge Frau, in die Vereinigten Staaten aus. Als sie dort zum ersten Mal durch Chinatown geht, durchlebt sie mit flatterndem Herzen die Glücksgefühle bei der Begegnung mit vertrauten Gerüchen, Gesichtern und Gerichten. Und auch wenn wir das, wonach es Ailin so sehnlich verlangt, nicht essen mögen, spüren wir doch, wie wunderbar es sein muß, ein kleines Stück Heimat in der Fremde zu finden.
SHIRIN SOJITRAWALLA.
Lensey Namioka: "Ailins Weg". Aus dem Englischen von Anna Blankenburg. Anrich Verlag, Weinheim 2000. 188 S., geb., 22,- DM. Ab 12 J.
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"Die Memoiren einer Tochter aus gutem chinesischen Hause, die auch viel über das fernöstliche Land, die ferne zeit und ein fremdes Leben zutage fördern." FAZ