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Fernando Pessoa (1888-1935) schuf Gedichte und poetische Prosatexte verschiedenster, ja widersprüchlichster Art. Um die Vielfalt seines Fühlens in eine große eigene Welt zu überführen, erfand er sich personifizierte Verkörperungen seines Denkens und Dichtens: seine Heteronyme (Personenschöpfungen mit eigenständiger Persönlichkeit und einer ausgewiesenen Biographie). So gab er seinem vielfältig gespaltenen Ich die Namen Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Álvaro de Campos u.a. Auch unter seinem eigenen Namen, der im Portugiesischen soviel besagt wie "Person, Maske, Fiktion, Niemand", trat er als…mehr

Produktbeschreibung
Fernando Pessoa (1888-1935) schuf Gedichte und poetische Prosatexte verschiedenster, ja widersprüchlichster Art. Um die Vielfalt seines Fühlens in eine große eigene Welt zu überführen, erfand er sich personifizierte Verkörperungen seines Denkens und Dichtens: seine Heteronyme (Personenschöpfungen mit eigenständiger Persönlichkeit und einer ausgewiesenen Biographie). So gab er seinem vielfältig gespaltenen Ich die Namen Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Álvaro de Campos u.a. Auch unter seinem eigenen Namen, der im Portugiesischen soviel besagt wie "Person, Maske, Fiktion, Niemand", trat er als Verfasser in Erscheinung. Die Werke der Heteronyme, zusammen mit denjenigen ihres Schöpfers, machen den einmaligen Kosmos dieses großen Portugiesen aus. ; Alberto Caeiro (1889-1915) ist ein solches Heteronym. Pessoa nennt ihn seinen Meister. Dieser Caeiro schuf sein Werk während seines kurzen Lebens in völliger Abgeschiedenheit auf dem Lande im Ribatejo, wohin er sich wegen einer Tuberkuloseerkrankung, an der er auch sterben sollte, zurückgezogen hatte. Nahezu ungebildet, schuf er Dichtungen, die seine Empfindungen bei der Betrachtung der Natur ausdrücken, ohne daß er das Geheimnis dahinter suchen möchte. Mit ihm kehrt der neue große Pan in die moderne europäische Literatur zurück.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2004

Der Wind hat dir kein Lied erzählt
Sind wir nicht alle etwas heteronym? Pessoas Dichterrolle rückwärts

Man braucht Fernando Pessoa, seit dem Erfolg des "Buchs der Unruhe", auch hierzulande nicht mehr vorzustellen. Er ist ohne Zweifel der größte literarische Autor portugiesischer Zunge des vergangenen Jahrhunderts und gehört, über die Grenzen seiner Sprache hinaus, zu den bedeutendsten Dichtern der Moderne. In Portugal, auch in Brasilien, wird er wie ein säkularer Heiliger verehrt. Als ich den Band "Alberto Caeiro" einem Literaten aus Brasilien zeigte, führte er ihn, beinahe erschrocken, als er sah, um was es sich handelte, bevor er ihn öffnete, an seine Lippen. Und dabei war kaum Ironie.

Pessoa, der 1935, siebenundvierzigjährig, starb, schrieb Gedichte - dies ist, jedenfalls auf diesem Niveau, ziemlich einmalig - unter sogenannten "Heteronymen" (es ist sein eigener Ausdruck): erfundene, erdichtete Dichter mit eigener Individualität, unter deren Namen Pessoa dann, in je verschiedener Ausrichtung, schrieb. Bei Antonio Machado, dem großen, ja doch wohl größten spanischen Lyriker des 20. Jahrhunderts, findet sich Ähnliches. Aber Pessoa, der daneben auch unter seinem eigenen Namen dichtete, geht weiter als Machado, mit dem ihn, auch dies ist bemerkenswert, eine Art Volkstümlichkeit verbindet, die weder Rilke noch Benn, noch Brecht, noch Mallarmé oder Valéry oder Eliot hatten und haben.

Pessoas wichtigste "Heteronyme" sind Álvaro de Campos, Ricardo Reis und eben Alberto Caeiro, um den es in diesem sehr schönen Gedichtband geht und den die übrigen erfundenen Männer ihren "Meister" nennen. Von ihnen ist Caeiro der - zumindest scheinbar - traditionellste. Übrigens ist der "Hilfsbuchhalter Bernardo Soares" im "Buch der Unruhe" für Pessoa nur ein "Semi-Heteronym" (dieser Mann ist ihm noch näher als die anderen). Es liegt auf der Hand: Dieses Verfahren, eine Radikalisierung des bekannten explizit "vorgeschobenen Autors", wie wir ihn in Erzählwerken ja nicht selten finden, erlaubt dem eigentlichen Autor eine sanfte Distanzierung, etwas wie ein "So würde ich gerne, wenn es anginge, schreiben". Aber anderes, denn dies alles ist komplex, kommt hinzu. Man könnte wohl auch sagen: Das Verfahren ist eine explizierende Radikalisierung dessen, was eigentlich immer "irgendwie" gegeben ist. Denn: Wer schreibt, wer "dichtet" schon ganz als er selbst? Schreibt man nicht immer "heteronym"?

Der Band hebt mit einem "Vorwort zu Alberto Caeiros Gedichten" des anderen "Heteronyms" Ricardo Reis an, in welchem dieser sich auch auf das dritte, Álvaro de Campos, beruft. Caeiro lebte nur vierundzwanzig Jahre und abseits der Städte auf einem "abgelegenen Gut". Reis feiert ihn - "Der große Pan ist wiedergeboren!" - als einen Erneuerer des Heidentums. Ein Heide sei er gewesen, wie Griechen und Römer es gar nicht hätten sein können, weil sie ihr "Heidentum einfach lebten und folglich nicht darüber nachdachten". Vor allem aber sei das Werk Caeiros "ein Fortschritt in den Wahrnehmungen", er habe "mit einer übermenschlichen Intuition die Welt entdeckt, ohne über sie nachzudenken".

Was damit gemeint ist, zeigen die Gedichte in ihrem herrlichen Fließen, einem gleichsam unaufhaltsamen, immerfort schauenden und Gedanken, die etwas dahinter suchen, immer erneut abwehrenden Fließen. Schön ist dies Fließen auch in der Übersetzung, die man fast durchweg loben kann oder muß, aber portugiesisch fließt es, weil Pessoa nun einmal so schrieb, unvermeidlich noch schöner. Und da die Ausgabe zweisprachig ist und Caeiro zudem einfach schreibt, lexikalisch und syntaktisch (es gehört zu seinem Projekt), kann man, auch wenn man bloß erratend portugiesisch kann, Original und Übersetzung gut vergleichen.

Also: Caeiro will, in seiner artifiziellen Einfachheit, die Dinge nehmen, wie sie scheinen. Denn so sind sie ihm auch. Hinter oder über ihnen soll, darf nichts gesucht werden - die bloße, die reine Erscheinung. Darauf kommt es an. Einmal, es ist ein kurzer Dialog, stellt er die Frage: "Was sagt dir der wehende Wind?" Gleich dies ist portugiesisch noch einfacher: "o vento que passa". Aber was soll der Übersetzer anderes sagen als "wehen"? Wäre "vorüberziehen" besser? Kaum. Jemand gibt die Antwort: "Er spricht mir von vielen anderen Dingen. / Von Erinnerungen und Sehnsucht / Und Dingen, die nie gewesen sind". "Sehnsucht" - hier haben wir, aber im Plural, das portugiesische Schlüsselwort schlechthin: "saudades". Da nun widerspricht der Dichter - ruhig und schroff: "Du hast den Wind nie wehen gehört. / Der Wind erzählt nur vom Wind. / Was du ihn sagen hörtest, war Lüge, / Und diese Lüge ist in dir". Ist dies nicht so einfach wie erstaunlich? Und wieder ist es bei Caeiro noch einfacher: Da "erzählt" der Wind nicht, da "spricht" oder "redet" er bloß: "o vento só fala do vento" (Übersetzer legen gerne zu). Und der quasi moralische Anspruch dieser Insistenz auf dem puren unzerdachten Phänomen - "Lüge in dir" - tritt emphatisch hervor.

Caeiro nennt sich (so heißt auch eine, die wichtigste, der Sammlungen in diesem Band) "Hüter der Herden" und präzisiert: "die Herde sind meine Gedanken, und alle meine Gedanken sind Empfindungen". Auf die Sinne also kommt ihm alles an. "Mein Blick ist klar wie eine Sonnenblume." Aus "klar" ("nítido") machen die Übersetzer - vertretbar - "offen" und bringen den Vers nun ganz in Mörike-Nähe: "Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen." Schwerlich hat Pessoa den Vers gekannt. Eigentümlich ist, daß hier überall, zumindest um Gedanken abzuweisen, doch gedacht wird. Und gar Jesus kommt (und es ist nicht peinlich) auch vor - ganz heidnisch in der Tat.

Wie man sieht oder hört, ist die lyrische Rede Caeiros der Prosa äußerst nahe. Interessant wäre es zu zeigen, warum sie nicht einfach Prosa ist. Für sie gilt, was ein Franzose von Racines Sprache gesagt hat: sie berührt die Prosa - "aber mit Flügeln". Zu danken ist dieses außerordentliche Buch, neben Autor und Verleger, fünf Personen: den Herausgebern Fernando Cabral Martins und Richard Zenith, den Übersetzern Inés Koebel und Georg Rudolf Lind, dem verstorbenen, hochverdienten Romanisten, und schließlich Georg Kohler, der ein so schönes wie kluges Nachwort beigesteuert hat.

HANS-MARTIN GAUGER

Fernando Pessoa/Alberto Caeiro: "Poesia - Poesie". Herausgegeben von Fernando Cabral Martins und Richard Zenith. Aus dem Portugiesischen von Inés Koebel und Georg Rudolf Lind. Revidierte und erweiterte Ausgabe. Mit einem Nachwort von Georg Kohler. Ammann Verlag, Zürich 2004. 227 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Lang und breit erklärt Martin Lüdke, was es mit den verschiedenen Heteronymen des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa alias Alberto Caeiro alias Ricardo Reis alias Alvaro de Campos auf sich hat. Ein Heteronym ist mehr als ein Pseudonym, erfährt der Leser, dahinter verbirgt sich nicht nur ein anderer Name, sondern eine andere Dichterpersönlichkeit. Damit habe Pessoa seinen Kollegen Rimbaud mit dessen Bemerkung "Ich ist ein anderer" mühelos übertrumpft, stellt Lüdke mit Befriedigung fest. Und jedes weitere Dichter-Ich besitzt nicht nur eine eigene Lebensgeschichte, sondern auch ein eigenständiges Werk, erläutert Lüdke weiter. Caeiro steht für ein schmales Werk, einen Gedichtzyklus von 49 meist recht kurzen Gedichten, zu denen wiederum ein gewisser Ricardo Reis das Vorwort und ein gewisser Alvaro de Campos Interpretationshilfe geleistet haben - kleiner Scherz von Fernando Pessoa, was im Portugiesischen soviel wie Person, Maske oder Niemand bedeutet, so Lüdke. Auffällig an diesen Gedichten sei eine "Ding-Metaphysik", bemerkt der Rezensent, die in der Moderne Schule machen sollte. Francis Ponge griff diese Technik auf, und selbst in Handke-Gedichten lassen sich davon noch Spuren finden, staunt Lüdke. Denn Pessoa insistiere nicht nur auf der sinnlichen Anwesenheit der Dinge wie zum Beispiel von Wolken und Wind (die dann keinen Symbolwert mehr hätten), sondern stelle zugleich die Subjektivität in Frage und nehme damit ein zentrales Motiv der Moderne vorweg, schreibt Lüdke.

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