Inge Jens zieht Bilanz
Inge Jens wurde als Editorin von Thomas Manns Tagebüchern gerühmt, als Biographin von Katia Mann und Hedwig Pringsheim gefeiert. Jetzt zieht sie eine persönliche Bilanz ihrer Jahrzehnte währenden Beschäftigung mit den Manns. Sie widmet sich dem Ort, an dem Thomas Manns Werke entstanden und den er selbst als das eigentliche Zentrum seines Lebens ansah: seinem Schreibtisch. Was war es für ein Möbelstück, an dem «TM» - wann immer möglich - den Vormittag verbrachte und sich dem täglichen Pensum widmete? Wo stand es, wie sah seine Umgebung aus, und was passierte im familiären und häuslichen Umfeld? Welches Schicksal hatte der Schreibtisch auf den verschiedenen Exilstationen der Manns nach 1933? Und wie unterschied sich Thomas Manns Schreibtischexistenz vom Leben anderer Autoren seiner Zeit? Inge Jens berichtet in diesem Buch auch über ihre persönlichen Begegnungen mit der Mann-Familie. Und sie dokumentiert in einem gesonderten Kapitel ihren Briefwechsel mit Golo Mann. Ein Buch mit vielen überraschenden Einsichten - und ein großes Lesevergnügen. «Die Tagebuch-Ausgabe von Inge Jens ist ein Meilenstein in der Geschichte der Editionsphilologie. Vielleicht werden die Tagebücher Thomas Manns nie mehr dieselben sein, die sie vor Inge Jens waren oder die sie ohne Inge Jens gewesen wären.» Thomas Sprecher, ehemals Leiter des Thomas-Mann-Archivs, Zürich
Inge Jens wurde als Editorin von Thomas Manns Tagebüchern gerühmt, als Biographin von Katia Mann und Hedwig Pringsheim gefeiert. Jetzt zieht sie eine persönliche Bilanz ihrer Jahrzehnte währenden Beschäftigung mit den Manns. Sie widmet sich dem Ort, an dem Thomas Manns Werke entstanden und den er selbst als das eigentliche Zentrum seines Lebens ansah: seinem Schreibtisch. Was war es für ein Möbelstück, an dem «TM» - wann immer möglich - den Vormittag verbrachte und sich dem täglichen Pensum widmete? Wo stand es, wie sah seine Umgebung aus, und was passierte im familiären und häuslichen Umfeld? Welches Schicksal hatte der Schreibtisch auf den verschiedenen Exilstationen der Manns nach 1933? Und wie unterschied sich Thomas Manns Schreibtischexistenz vom Leben anderer Autoren seiner Zeit? Inge Jens berichtet in diesem Buch auch über ihre persönlichen Begegnungen mit der Mann-Familie. Und sie dokumentiert in einem gesonderten Kapitel ihren Briefwechsel mit Golo Mann. Ein Buch mit vielen überraschenden Einsichten - und ein großes Lesevergnügen. «Die Tagebuch-Ausgabe von Inge Jens ist ein Meilenstein in der Geschichte der Editionsphilologie. Vielleicht werden die Tagebücher Thomas Manns nie mehr dieselben sein, die sie vor Inge Jens waren oder die sie ohne Inge Jens gewesen wären.» Thomas Sprecher, ehemals Leiter des Thomas-Mann-Archivs, Zürich
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Und was ist mit dem Schreibtischstuhl? Manfred Koch lässt sich von Inge Jens und ihrer Geschichte eines besonderen Möbels, Thomas Manns den Schriftsteller durch nahezu alle Exilstationen begleiten Schreibtisch, zu Spekulationen über Sitzfleisch, die hölzerne Seele des Autors (samt dunkler, dunkler Ecken) und die mutmaßliche Bedeutung eines stabilen Schreibambientes hinreißen. Dass der Band in Sachen Lebens- und Werkgeschichte im Grunde nichts enthält, was nicht längst bekannt ist, stört Koch offenbar kaum. Eine Biografie entlang eines Schreibmöbels und ein Schreibtisch als Gedächtnisraum - für Koch eine reizvolle Sache.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Alles, was mit Thomas Mann zu tun hat, ist interessant. Wirklich alles? Jetzt gibt es ein Buch, das sich seinem Schreibtisch widmet. Es enthält übertrieben blank polierte Thesen.
In einem neuen Thomas-Mann-Buch steht: "Sein Schreibtisch war in München zurückgeblieben, als er im Februar 1933 zu einer Vortragsreise nach Brüssel und Paris aufbrach und anschließend - wie seit langem geplant - mit seiner Frau zur Erholung nach Arosa weiterreiste." Thomas Mann konnte zu dem Zeitpunkt ja noch nicht wissen, dass er nicht wiederkommen würde, da ist es selbst für einen eingefleischten Schreibtischtäter begreiflich, dass er seinen Schreibtisch nicht mitgenommen hat. Die meisten lassen ihr ganzes Haus zu Hause.
Sicher, für einen Schriftsteller ist der Schreibtisch ein wichtiges Möbelstück. Aber ob man darüber gleich ein ganzes Buch schreiben muss? "Am Schreibtisch - Thomas Mann und seine Welt" ist eine dieser, wie soll man sagen?, "Studien", die dem Missverständnis aufsitzen, man müsse die äußeren Lebensumstände und -dinge eines bedeutenden Schriftstellers so genau wie möglich inventarisieren und könne auch daraus noch Rückschlüsse aufs Werk ziehen. Was hatte man sich, nach Öffnung und Veröffentlichung der Tagebücher, nicht lustig gemacht über die unermüdliche Ausbreitung von Banalitäten?! Und jetzt fegt jemand das alles wieder zusammen, um diesem Abfall - denn mehr ist es meistens wirklich nicht - das zu entnehmen, was eben drin ist: Trivialitäten. Es stimmt schon: Thomas Mann hing an seinem Schreibtisch. Die unverdrossen vorgetragene These, das Möbel sei für ihn vor allem in der Exilzeit, um die dieses Büchlein sich kümmert, "Symbol beharrlich-tapferer Ausdauer" und irgendwie auch geistige Stütze gewesen, ist trotzdem uninteressant. Für welchen Schriftsteller aus der Vor-Laptop-Zeit gälte sie nicht?
Schon die umständlichen Erwägungen am Anfang, ob Thomas Mann seine Exil-Zelte nicht auch hätte in Südfrankreich aufschlagen können, deuten darauf hin, dass es, unter dem Schreibtisch-Aspekt, eben doch nicht so viel zu sagen gibt. Das Ding ist erst einmal weg, um schließlich in Kalifornien einzutreffen: "Zudem erwies sich beim Ausladen der aus Princeton eintreffenden Möbel, dass manches repariert, neu überzogen oder, wie der Schreibtisch, aufpoliert werden musste." Leider erfahren wir nicht, welches Politurmittel dabei benutzt wurde; vielleicht Poliboy, das gab es damals schon. So glänzte denn der alte Schreibtisch wieder wie neu, und so konnten dann auch wieder häusliche Lesungen abgehalten werden - "im Schatten jenes Schreibtisches, an dem die Geschichten wie eh und je, wenn auch nicht erdacht, so doch aufgeschrieben worden waren". Im Schatten? Saß man während dieser Lesungen auf dem Fußboden?
Über die "Doktor Faustus"-Zeit heißt es dann, der Schreibtisch habe als "Vehikel von Erinnerung und biographischer Vergangenheitssuche" gedient. Wie sollte das vor sich gehen? Das waren doch mentale, geistige Vorgänge, die sich im Kopf abspielten, im Falle Thomas Manns noch mit der Hand festgehalten wurden, und zwar auf Papier, das auf einem Schreibtisch lag. Warum daraus eine große Sache machen? Es gab ja für Thomas Mann ein "metaphysisches Möbelstück", aber das war sein Bett, wie wir aus dem Essay "Süßer Schlaf" wissen. Der Schreibtisch aber bekommt hier gewaltiges Gewicht. Selbst der krankheitsbedingte Umzug aufs Sofa, der nach der Lungenoperation nötig geworden war, soll uns bei der Fertigstellung des "Doktor Faustus" zu denken geben: "Wo diese letzten Worte notiert wurden, in der Sofaecke oder am Schreibtisch, bleibt unerwähnt." Vermutlich doch am Schreibtisch, auf dem Sofa hatte sich ja schon der Teufel breitgemacht.
Es kann schon passieren, dass man in jahrzehntelanger biographischer Befassung irgendwann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Und deshalb hätte der Rowohlt Verlag der nun wahrlich hochverdienten Inge Jens dieses Buch ausreden müssen.
EDO REENTS
Inge Jens: "Am Schreibtisch". Thomas Mann und seine Welt.
Rowohlt Verlag,
Reinbek bei Hamburg 2013. 206 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine gewinnbringende Lektüre. dpa