Harry Martinson (1904-1978) schrieb über das unermesslich Große und das stecknadelgroß Kleine, das Nahe und das Ferne - er ließ, so die Begründung für seinen Literaturnobelpreis 1974, »in einem Tautropfen den Kosmos sich spiegeln«. In »Aniara«, seinem legendären Weltraumepos in 103 Gesängen, begleitet er eine Gruppe von Menschen, die sich ihrem eigenen und dem Ende der Welt stellen müssen. Mit dem Raumschiff »Aniara« waren sie auf dem Weg zum Mars, wohin sie von der durch Atomkrieg und Ausbeutung unbewohnbar gewordenen Erde evakuiert werden sollten. Doch die »Aniara« ist außer Kontrolle geraten und taumelt nun mitsamt ihren Insassen durchs All. Ohne Ziel, ohne Aussicht auf Rettung. Und menschliches Leben wird nur noch möglich sein, solange die Sauerstoffreserven ausreichen. Geschrieben vor dem historischen Hintergrund von Hiroshima und der Wasserstoffbombe, den Gräueln der Weltkriege und der Zerstörung der Natur, wirft Harry Martinson all seine poetische Kraft in die Waagschale, um uns tief in die spirituelle und existenzielle Verzweiflung der Menschen eintauchen zu lassen, die der versagenden Technik und den Auswirkungen ihrer eigenen Rücksichtslosigkeit ausgeliefert sind. Wie lässt sich in dieser Ausnahmesituation noch Trost, Sinn und innerer Friede finden? In grandiosen Bildern - mit poetischem Verständnis von Lena Mareen Bruns in ein facettenreiches, vielstimmig klingendes Deutsch gebracht - verdeutlicht Martinson uns die in unseren Händen liegende Verantwortung. Nie wurden Verlorenheit und die Konsequenzen unseres Handelns in schönere Worte gefasst.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensentin Meike Feßmann liest Harry Martinsons "Aniara" rund 70 Jahre nach dessen Erscheinen und stellt fest: Als "philosophische Versuchsanordnung" kann das Versepos über ein Raumschiff voller Erd-Exilanten, das auf dem Weg zum Mars vom Weg abkommt, immer noch Aufschluss geben: über die menschliche Sehnsucht nach dem Tod, über die Notwendigkeit von Gemeinschaft und Hoffnung. Das Bild der absoluten Einsamkeit, das der schwedische Autor hier entwirft, wirkt immer noch, auch auf uns Gegenwärtige, wobei das Gefühl der Verlassenheit, das dieses Bild erzeugt, für Feßmann wie "umwölkt" ist von Geistern "biederer Bilder" der 50er Jahre. Auch in technologischer Hinsicht kann der Text nicht mithalten mit modernerer philosophischer Science Fiction, und sprachlich fällt er hinter andere Langgedichte wie etwa T.S. Eliots "The Waste Land" zurück. Lesenswert ist "Aniara" dennoch: Gerade in der Diskrepanz dessen, was damals und was heute vorstellbar ist, liegt die analytische Stärke des Romans, so die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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