"Auf, lasst uns gehen!" Dieses Jesus-Wort stellt Johannes Paul II. als Motto über seine Erinnerungen aus den zwanzig Jahren seines Lebens als Bischof von Krakau - eine Zeit des Umbruchs und des Aufbruchs. Er berichtet von den Schwierigkeiten, die die polnische Kirche nach der Unterdrückung durch die Nationalsozialisten unter der kommunistischen Herrschaft zu bestehen hatte, gibt Einblicke in die Arbeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils, an dem er vom ersten bis zum letzten Tag teilnehmen konnte, berichtet von vielen menschlichen Begegnungen und lässt dabei immer wieder allgemeine Reflexionen einfließen, die den Leser in die spirituellen Hintergründe des Geschilderten einführen und ihm eine unmittelbare Freude am gelebten Glauben vermitteln.
Wir erleben einen dynamischen, jungen Bischof, der als Vater und Hirte der Gläubigen immer bemüht ist, ganz nah bei den Menschen zu sein, einen weltoffenen Förderer der Wissenschaft und der Künste, einen Freund der Literatur und des Theaters, vor allem aber einen Menschen, der aus der Kraft des Gebetes lebt. Und wir dürfen ihn begleiten auf einem Teil seines Weges, der ihn schließlich auf den Stuhl Petri nach Rom führen sollte.
Wir erleben einen dynamischen, jungen Bischof, der als Vater und Hirte der Gläubigen immer bemüht ist, ganz nah bei den Menschen zu sein, einen weltoffenen Förderer der Wissenschaft und der Künste, einen Freund der Literatur und des Theaters, vor allem aber einen Menschen, der aus der Kraft des Gebetes lebt. Und wir dürfen ihn begleiten auf einem Teil seines Weges, der ihn schließlich auf den Stuhl Petri nach Rom führen sollte.
VON OTTO KALLSCHEUER
Gedichte schreibt Johannes Paul II. weiter mit der Feder - das gravitätische "Römische Triptychon" datierte er handschriftlich auf den September 2002. Seit er Papst sei, gelinge ihm das Schreiben weitaus besser, soll Johannes Paul II. einmal gescherzt haben, "denn jetzt müssen andere für mich schreiben". Denn: Der Papst skizziert von Hand nur zentrale Passagen vor und überläßt die Ausführung seiner umfänglichen Rundschreiben vertrauten Theologen.
Das Genre "persönlicher" Papstbücher hat erst Karol Wojtyla, der erste wirkliche Medienpapst, eingeführt. Denn an die weltmännischen und weltlichen Dichtungen des Humanistenpapstes Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) aus dem 15. Jahrhundert konnten die Bücher des polnischen Mystikers auf dem Heiligen Stuhl gewiß nicht anknüpfen. "Die Schwelle der Hoffnung überschreiten" (1994), eine Tour d'horizont zur geistigen Situation der Zeit, war die redigierte Version seiner Antworten auf Fragen des Opus-Deinahen Journalisten Vittorio Messori. Der schmale Band "Geschenk und Geheimnis" erschien 1996 als sogenannte "Autobiographie" des Heiligen Vaters zum fünfzigsten Jahrestag seiner Priesterweihe: Karol Wojtyla firmierte zwar als Autor, verfaßt aber hatte das Werk Gian Franco Svidercoschi von der Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano".
Hinter einem Wust erbaulicher Paraphrasen ließ sich aus diesen Seiten noch der persönliche Stil des Papstes heraushören. Der Philosoph Blaise Pascal hat einmal die Erfahrung benannt: Man erwarte, "einem Autor zu begegnen, trifft aber einen Menschen". Im soeben erschienenen Folgeband der päpstlichen "Autobiographie" läßt sich diese Erfahrung jedoch kaum mehr machen.
"Auf, laßt uns gehen!" (Weltbild Verlag) hat zwar keinen offiziellen Ko-Autor. Es heißt, Stanislaw Rylko, Präsident des päpstlichen Rats für die Laien und ein Freund des Papstes, habe die Gespräche über Wojtylas Bischofsweihe (1958) und über sein Amtsethos geführt. Doch konnte der gesundheitlich angeschlagene Papst das Ergebnis noch gegenlesen? Oder mußte da, auf Deubel komm raus, ein Termin eingehalten werden? In dem Buch wimmelt es von schriftlichen Verkrampfungen. Der Papst "hatte den Eindruck, dieser Aufforderung nachkommen zu müssen", und er autorisiert bürokratische Stilblüten: "außerordentlich bewegende Erfahrungen", "wissenschaftlicher und pastoraler Einsatz im Bischofsamt", "kirchliche Realitäten, die großen Einsatz seitens der Laien bewirken". Hier herrscht ein Buchhalterjargon, der fast noch schwerer zu verdauen ist als die endlosen Zitate und Selbstzitate.
Wie konnte nur im Vatikan, der seit Jahrhunderten Hochburg ästhetischer Zeremonienmeister ist, ein derart horrendes, offensichtlich unlektoriertes Manuskript freigegeben werden: ohne Grazie - und daher eine Todsünde wider den Heiligen Geist des Stils? Welch gnadenloses Präsent an einen Mann, der wie kein zweiter aus der leibhaftigen Präsenz seiner Rede lebt.
Der Heilige Vater kann erzählen. Noch sein Leiden vermag er als sprechende Geste voller Witz und Schmerz auf dem Welttheater zu inszenieren, sogar die Liturgie ist ihm "dargestelltes, in Szene gesetztes Mysterium" - aber in seinen vermeintlichen Memoiren wird er leider seitenweise zum Kommentator eigener Schriften degradiert.
Doch Karol Wojtyla zieht keine papierne Bestsellermoral aus seinem Priester- und Bischofsleben. Der Weltreisepapst hat eine universale Freiheitsbotschaft, er empfängt sie von einem nicht transplantierbaren Ort. Sein Grund findet sich in Krakau, in der Wawel-Kathedrale, an den Gräbern der polnischen Könige und ihrer Poeten Adam Mickiewicz und Cyprian Norwid. Der "Proletarier" Wojtyla erfuhr die Gnade der Berufung in der Intimität der bischöflichen Hauskapelle des väterlichen Vorbilds und Fürstbischofs Adam Sapieha. Der hielt die Krakauer Christenheit wider die Nazis zusammen, sein Amt und seine Kapelle sollte Wojtyla erben. Der Glaube beider Krakauer Erzbischöfe ist entsprungen aus Polens Leidensgeschichte, aus der vom Blut seiner Märtyrer getränkten "Erdscholle der menschlichen Freiheit". Maria als Königin Polens schützt die katholisch rechtgläubige Nation wider lutherische Schweden und gottlose Bolschewiken.
Aus diesem Grund erwuchs Bischof Karol Wojtylas seelsorgerischer Widerstand wider die kommunistische Volksrepublik. Dieselben Motive prägten den zähen Stellungskrieg des Papstes wider das sowjetische Reich - und heute wider die westlich-kapitalistische Multi-Optionsgesellschaft als "Zivilisation des Todes". Keine leichte Lektüre.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
In Italien kommen die Erinnerungen des Papstes mit einer Startauflage von einer halben Million auf den Markt, pikanterweise auch noch in einem Berlusconi-Verlag, meldet Markus Brauck. In Deutschland wagt sich der katholische Weltbild-Verlag nur an 75.000 Exemplare in der Erstauflage. Erinnerungen an das durchaus spannende Lebens Karol Wojtylas dürfe aber niemand erwarten, warnt Brauck, und auch an Selbstreflexionen sei das Werk nicht gerade reich, selbst wenn im Untertitel "Gedanken" angekündigt werden. Für Brauck ist das Buch keineswegs als Rechenschaftsbericht für die Amtszeit des Papstes zu betrachten, sondern mehr eine "Art Erbauungsbüchlein für Bischöfe" - und damit rechtfertigt sich die vorsichtige deutsche Startauflage vielleicht doch. Denn eigentlich sei es ja egal, was der Papst schreibe, sinniert Brauck; weder könne es sein Ansehen noch groß steigern noch schmälern. Da Johannes Paul II. aber ein echter Missionar und unermüdlicher Prediger vor dem Herrn sei, nutze er seine Popularität, um seine Botschaft unter die Menschen zu bringen. Einblicke in die Arbeit des zweiten Vatikanischen Konzils gewähre das Buch dagegen kaum, hält Brauck fest. Aber eins müsse man dem Oberhaupt der katholischen Kirche zumindest lassen: er habe wenigstens eine Botschaft.
© Perlentaucher Medien GmbH
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