Wer “Auf tausend Straßen” liest, liest die Beiträge von fünf Autoren: Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und Kaspar Hauser. Trotzdem sind die Vier nur ein Literat, Kurt Tucholsky, der diese Pseudonyme gewählt hat. Er schreibt in seinem Beitrag “Start”, dass es nützlich sei, unter
verschiedenen Namen zu schreiben, denn der Satiriker werde nicht ernst genommen, und Humor wird einem…mehrWer “Auf tausend Straßen” liest, liest die Beiträge von fünf Autoren: Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und Kaspar Hauser. Trotzdem sind die Vier nur ein Literat, Kurt Tucholsky, der diese Pseudonyme gewählt hat. Er schreibt in seinem Beitrag “Start”, dass es nützlich sei, unter verschiedenen Namen zu schreiben, denn der Satiriker werde nicht ernst genommen, und Humor wird einem politischen Schriftsteller nicht zugetraut. So entstand eine heitere Schizophrenie, jede Figur hatte ihren persönlichen Bereich. Doch alle Fünf einigt das offene Auge, der klare, fast prophetische Blick auf die Gesellschaft vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bis zu den Jahren nach dem ersten Weltkrieg sowie auf den aufstrebenden Nationalsozialismus.
Die Bandbreite der Arbeiten Tucholskys ist riesig, er war Lyriker, Journalist, Romanautor, Kritiker und textete Chansons und Kabarettnummern. Da man damals den Kaiser nicht kritisieren durfte, schrieb er bereits im Alter von siebzehn Jahren das “Märchen“, um die rückständigen Ansichten des deutschen Kaisers auf moderne Kunst zu persiflieren. Seine Gedichte und seine Prosa zeigen mit einprägsamen und präzisen Worten die Zustände der Zeit, nie um Humor und Ironie verlegen und, wie der Autor selbst sagt: “Satire darf alles“. Interessant ist, dass in dem Gedicht “Gebet des Zeitungslesers” die damalige Informationsüberflutung aufgezeigt wird, die in der Bitte gipfelt, den Leser von diesem Zeitungsregen zu befreien, denn wie sagt der Dichter: “Was geht mich das an?” So sprach der Autor damals gegen seine kommerziellen Interessen, nicht aber in “Die diskreditierte Literatur” , wo er das Erscheinen billiger Bücher kritisiert, eine für einen Sozialdemokraten vielleicht hinterfragenswerte Einstellung, da Bildung nun auch für einfache Schichten erschwinglich wurde. Ebenso wendete er sich gegen die Verluderung der Sprache, da Sprache eine Waffe sei. Obwohl der Autor sehr bekannt und nachgefragt war, musste auch er schließlich erkennen, dass man mit der Schreibmaschine keine Änderung der Verhältnisse herbeiführen kann.
Tucholsky wendet sich gegen die Kriegshetze, gegen Fehlinformation des Volkes, das letztlich nur als Kanonenfutter taugt und den Reichtum der Unternehmer mehrt. Dieser Teil des Buches ist für mich der leider bestürzend aktuelle Bereich. Männer, die in ihrer bürgerlichen Existenz Handwerker oder Bankbeamter waren, wurden in den Krieg getrieben, erbarmungslos und sinnlos. Daher gilt auch heute noch der brennende Appell des Autors: “Krieg dem Kriege”.
Die Vielfältigkeit des Werkes dieses großen Schriftstellers, der die Ansichten ganzer Generationen geprägt hat, findet sich in der Zusammenstellung seines Werkes “Auf tausend Straßen”, das dem Autor zum hundertfünfunddreißigsten Geburtstag ein Denkmal setzt. Diese hochwertige Ausgabe mit Hardcover und Lesebändchen wird wunderbar bereichert durch die Illustrationen von Stefanie Harjes, einer Illustratorin, deren Arbeiten national und international seit Jahren höchste Anerkennung finden.
Tucholskys pointierte, bissige und doch so treffende Schilderung seiner Beobachtungen machten vor keiner Gesellschaftsschicht halt, weder vor dem Großbürgertum, den Unternehmern, den Richtern oder den Militaristen. Tucholsky war Patriot, der sein Land liebte, aber immer gegen Nationalismus anschrieb. Nach seiner frühen Auswanderung nach Schweden kritisierte der Autor die deutschen Verhältnisse weiterhin. Doch findet sich im Buch auch ein Auszug aus dem Kurzroman “Schloss Gripsholm”, der Leichtigkeit und Romantik bringt. Sogar die Beschreibung seiner Beerdigung, hier wird Ignaz Wrobel zu Grabe getragen, wirft ein bezeichnendes Licht auf den bitteren Humor des Autors. Wer wird hier teilnehmen, nur um im Rampenlicht zu stehen? Und als Ignaz Wrobel sollte auf seinem Grabstein stehen “Hier ruht ein goldenes Herz und eine eiserne Schnauze-gute Nacht.”
Mein Fazit:
Kurt Tucholsky war einer der wichtigsten Schriftsteller meiner Jugend, ich habe es immer bewundert, mit welcher Präzision er Missstände und Lügen aufgedeckt hat. “Unter tausend Straßen” hat mir seine Werke wieder vor Augen gestellt und an meiner Bewunderung für seinen Mut und seine klaren Worte hat sich nichts geändert. Er war Mahner, Aufklärer und überzeugter Pazifist, seine Gedichte und Prosa sind so erschreckend aktuell, dass es fast weh tut. Mit “Auf Tausend Straßen” wurde dem Autor ein würdiges Denkmal gesetzt in einem wunderbaren Buch, das ich gerne empfehle.