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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2012

Wir pfeifen auf die Olympischen Spiele

Welch ein Abenteuer! In einer Zeit, in der für die meisten Deutschen bereits eine Reise nach Italien der Gipfel der Exotik bedeutete und Fernreisen nahezu unbekannt waren, machten sich zwei Brüder aus Wiesbaden auf, mit einem Motorroller mit Anhänger von ihrer Heimatstadt bis nach Tokio zu fahren. Einer der beiden, der heute siebzig Jahre alte Wilfried Forell, hat jetzt sein Tagebuch dieser abenteuerlichen Weltreise veröffentlicht, die die beiden jungen Männer in vierzehn Monaten durch zwanzig Länder führte. Auslöser für die 65000 Kilometer lange Tour war ein Freund, der an den Olympischen Spielen 1964 in Tokio teilnahm und den die beiden dort anfeuern wollten. Aus diesem Plan wurde jedoch nichts, denn wegen eines extremen Winters in der Türkei mussten sie von ihrer ursprünglichen Route abweichen und einen Umweg über die die wärmeren Länder Syrien, Libanon, Jordanien und den Irak nehmen. Ermutigt von der unerwarteten Gastfreundschaft dort und fasziniert von den fremden Kulturen, unternahmen sie weitere Abstecher, bis sie darüber das Treffen mit dem Freund vergaßen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von fünfzig Kilometern in der Stunde - mehr gaben die 2,7 PS der R50 von Puch nicht her - rollten die Brüder weiter über Karachi, Nepal, Kalkutta, Colombo, Singapur, Kuala Lumpur, Bangkok, Phnom Penh, Saigon und Hongkong nach Japan. Das Buch ist ein faszinierender Bericht aus der Pionierzeit des Alternativ- und Ferntourismus, der seinen besonderen Charme aus der Unvoreingenommenheit und Hilfsbereitschaft der Menschen bezieht, denen die Reisenden begegneten. In Zeiten, in denen es in Deutschland weder Straßenkarten für den Mittleren und Fernen Osten zu kaufen gab noch eine funktionale Reiseausrüstung, erstaunt es nicht, dass die beiden auch wegen ihrer ungewöhnlichen Kleidung aus Khakihosen und Parkas, Tropenhelmen und Bergstiefeln Aufsehen erregten. Nicht selten folgten ihnen Pressefotografen. Die Strapazen der Reise waren nicht unbeträchtlich: Die Brüder mussten nicht nur Temperaturen von minus 33 Grad in der Türkei überstehen, bis zu drei Meter hohen Schneeverwehungen im iranischen Hochland und einen Taifun im Pazifik, sie entkamen auch nur knapp dem Kriegsbeginn in Vietnam. Von geradezu anrührender Schönheit sind die sechzig Farbfotografien. Sie zeigen vom Massentourismus und von westlicher Zivilisation noch weitestgehend unberührte Landschaften und Menschen: Bilder einer längst vergangenen Welt.

Nag.

"Aufbruchstimmung. Tagebuch einer abenteuerlichen Reise" von Wilfried Forell. Kulturbuch-Verlag, Berlin 2011. 220 Seiten, zahlreiche Fotos. Gebunden, 25 Euro.

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