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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2011

Vorbild Sudetendeutscher Tag
Die Integration der Vertriebenen in Hessen seit 1945/46

Zur Integration der Vertriebenen in Hessen gibt es seit den neunziger Jahren zahlreiche Spezialuntersuchungen. Rolf Messerschmidt legt nun erstmals eine zusammenfassende Darstellung vor - ein im besten Sinne des Wortes populärwissenschaftliches, mit Bildern, Karten und Grafiken attraktiv ausgestattetes und gut lesbares Werk. Das 1945/46 neugegründete Land gehört zu den bedeutenden westdeutschen Aufnahmeländern für Flüchtlinge und Vertriebene (zirka 20 Prozent der Nachkriegsbevölkerung Hessens, darunter vor allem Sudetendeutsche). Eng verknüpft ist die hessische Vertriebenenpolitik mit dem Namen von Georg August Zinn (1901-1976), der von 1950 bis 1969 als Ministerpräsident (SPD) amtierte.

Zinn verkündete 1951 den "Hessenplan", anfangs ein Notprogramm zur Eingliederung der Vertriebenen, welches sich allerdings im Laufe der Jahre zu einem Landesentwicklungsplan wandelte, welcher die Wirtschafts- und Sozialstruktur Hessens langfristig prägte sowie maßgeblich dazu beitrug, dass die Eingliederungsanstrengungen erfolgreich waren und auch von den Einheimischen akzeptiert wurden. Wenig beachtet wird zumeist, dass die Formung Hessens zum sozialdemokratischen Musterland in der Ära Zinn nicht gelungen wäre ohne die Vertriebenenpartei GB/BHE, die mit der hessischen SPD von 1954 bis 1966 koalierte und nicht etwa - was 1954 rechnerisch möglich gewesen wäre - mit CDU und FDP. Bemerkenswert ist, dass die seit 1961 stattfindenden Hessentage ursprünglich auf das Vorbild des Sudetendeutschen Tages zurückgehen; insofern haben die Vertriebenen im Verbund mit der SPD nicht unerheblich dazu beigetragen, dass nach 1945 so etwas wie ein hessisches Landesbewusstsein entstand.

Gern hätte man über die Details der damaligen Koalitionspolitik noch mehr erfahren. Leider wird das Aufgehen erheblicher Teile des hessischen GB/BHE in der SPD nach 1966 kaum behandelt. Genannt werden muss hier etwa der in dem Band nur kurz erwähnte langjährige Bundestagsabgeordnete, Bundesvorsitzende und Landtagsfraktionsvorsitzende Frank Seiboth (1912-1994), Sudetendeutscher und ehemaliges NSDAP-Mitglied, der 1967 zur SPD übertrat und von 1967 bis 1974 Staatssekretär im hessischen Landwirtschaftsministerium war. Sehr bedauerlich ist, dass in Messerschmidts Buch der bedeutende sudetendeutsche Sozialdemokrat Wenzel Jaksch (1896-1966), der nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil in Hessen ansässig wurde und als prominentester sozialdemokratischer Vertriebenenpolitiker in der frühen Bundesrepublik eine wichtige Rolle spielte, nur am Rande erwähnt wird; Bundestagsabgeordneter seit 1953, war Jaksch ab 1959 Vorsitzender der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft und ab 1964 Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV).

Überhaupt weist der Band bei der Organisationsgeschichte der Vertriebenen immer wieder kleinere Ungenauigkeiten und Fehler auf. Die Stärken der Darstellung liegen eindeutig auf dem Felde der Integrationspolitik im engeren Sinne (Wirtschafts- und Sozialpolitik). Für den Historiker bedauerlich ist der durchgängige Verzicht auf Fußnoten. Detailliertere Ausführungen zur Forschungs- und Rezeptionsgeschichte und ein Quellen- und Literaturverzeichnis vermögen dies nur teilweise wettzumachen. Dennoch handelt es sich um eine nützliche Bestandsaufnahme, die eindrucksvoll belegt, warum die Integration der Vertriebenen in Hessen trotz aller Probleme eine Erfolgsgeschichte war.

MATTHIAS STICKLER

Rolf Messerschmidt: Hessen und die Vertriebenen. Eine Bilanz von 1945 bis zur Gegenwart. Herausgegeben von der Stiftung Vertriebene in Hessen. DCM Druck Center, Meckenheim 2010. 208 S., kostenlos zu bestellen beim Hessischen Competence Center, Rheingaustr. 186, 65203 Wiesbaden.

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