»Die Sinfonie der Großstadt« in Textform
»Das Berlin der 1920er und sein Großstadtmythos haben ihre Wurzeln im Kaiserreich. Wer wissen möchte, wie aus dem beschaulichen Spree-Athen das brodelnde Spree-Chicago wurde, sollte Hans Ostwald lesen.« Volker Kutscher
Als Hans Ostwald zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Großstadt-Dokumente in Auftrag gibt, ahnt er nicht, dass die Reihe mit zwanzig geplanten Milieustudien schnell auf fünfzig Bände anwachsen wird. Es entstehen Texte, die Berlins Vielschichtigkeit durchdringen und ein breites Panorama aus ebenso rauen wie poetischen Momenten des Großstadtlebens abbilden. Ostwald selbst verbringt etwa eine Nacht im Obdachlosenheim und findet Autoren, die sich im Milieu der Geisterbeschwörer auskennen oder über die nicht immer legalen Machenschaften auf der Pferderennbahn Hoppegarten schreiben. Und es gibt noch Brisanteres: Magnus Hirschfelds Schilderung der Homosexuellenszene rief nach Erscheinen einen waschechten Skandal hervor, Wilhelm Hammers Band über lesbische Paarbeziehungen wurde sogar sofort verboten.
Nie zuvor gab es einen ähnlich groß angelegten Versuch, das Wesen einer Großstadt in all seinen Facetten einzufangen wie mit dieser Reihe. Thomas Böhm hat eine Auswahl getroffen, die das Berlin der Jahrhundertwende zum Leben erweckt, verblüffende Parallelen zwischen damals und heute offenbart und Lust darauf macht, die - wie Ostwald es formulierte - »Giftblüten«, »eigentümlichen Persönlichkeiten«, »Vorzüge und Verkehrtheiten« Berlins zu erkunden.
»Das Berlin der 1920er und sein Großstadtmythos haben ihre Wurzeln im Kaiserreich. Wer wissen möchte, wie aus dem beschaulichen Spree-Athen das brodelnde Spree-Chicago wurde, sollte Hans Ostwald lesen.« Volker Kutscher
Als Hans Ostwald zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Großstadt-Dokumente in Auftrag gibt, ahnt er nicht, dass die Reihe mit zwanzig geplanten Milieustudien schnell auf fünfzig Bände anwachsen wird. Es entstehen Texte, die Berlins Vielschichtigkeit durchdringen und ein breites Panorama aus ebenso rauen wie poetischen Momenten des Großstadtlebens abbilden. Ostwald selbst verbringt etwa eine Nacht im Obdachlosenheim und findet Autoren, die sich im Milieu der Geisterbeschwörer auskennen oder über die nicht immer legalen Machenschaften auf der Pferderennbahn Hoppegarten schreiben. Und es gibt noch Brisanteres: Magnus Hirschfelds Schilderung der Homosexuellenszene rief nach Erscheinen einen waschechten Skandal hervor, Wilhelm Hammers Band über lesbische Paarbeziehungen wurde sogar sofort verboten.
Nie zuvor gab es einen ähnlich groß angelegten Versuch, das Wesen einer Großstadt in all seinen Facetten einzufangen wie mit dieser Reihe. Thomas Böhm hat eine Auswahl getroffen, die das Berlin der Jahrhundertwende zum Leben erweckt, verblüffende Parallelen zwischen damals und heute offenbart und Lust darauf macht, die - wie Ostwald es formulierte - »Giftblüten«, »eigentümlichen Persönlichkeiten«, »Vorzüge und Verkehrtheiten« Berlins zu erkunden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nach anfänglichem Lob sieht Rezensent Stephan Speicher dieses Unternehmen doch auch ziemlich kritisch. Er weist auf den Anspruch Hans Ostwalds hin, traditionelle künstlerische Mittel - etwa des Romans - journalistisch zu überwinden. Aber so sehr überzeugt hat den Kritiker das Resultat eigentlich nicht, so gefallen ihm zum Beispiel die "nicht-journalistischen" Beiträge am besten, etwa Magnus Hirschfelds wissenschaftliche Darstellung von Homosexualität. Ihm fällt angesichts der leicht ins Sensationalistische gedrehten Milieustudien ein, wie sehr die rechte Presse kurz darauf genau diese Elemente des Städtischen als propagandistischen Ausgangspunkt ihrer Moderne-Kritik aufgegriffen hat. Und genau deshalb hätte ihm gefallen, hier wäre tatsächlich mehr "der gewisse Kulturwert" zum Tragen gekommen, den Ostwald selbst an der Großstadt lobte - und damit meint der kritische Kritiker vor allem das "Nüchterne, Tüchtige, Reelle", etwa Industrie, Wissenschaft und Medizin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Für den heutigen Leser ist dieser Blick zurück in eine Vergangenheit vor über 100 Jahren sowohl faszinierend als auch inspirierend. Wer heute diese Reportagen aus dem prallen Leben eines quirligen Berlins der Gegensätze liest, kann eigentlich nicht anders, als gleich vor die Tür zu gehen und sich in eben jene Bezirke zu begeben, von denen die Reportagen berichten. Ralph Krüger kulturbuchtipps.de 20201222









