Bis wieder einer weint - Eine bundesrepublikanische Familiensaga über Geheimnisse, Verlust und den Weg ins eigene Leben.
Wilhelm und Inga Rautenberg sind das Traumpaar der Adenauer-Ära: Er erfolgreicher Dressurreiter und Erbe einer mittelständischen Firma kurz vor dem Weltmarkterfolg, sie eine bildschöne Arzttochter. Doch nur wenige Monate nach der Geburt des zweiten Kindes stirbt Inga an Leukämie. Die jüngere Tochter wächst bei den Großeltern auf, während die ältere beim Vater bleibt.
Um den Zwängen seiner strengen Mutter und der freikirchlichen Gemeinde zu entfliehen, baut sich Wilhelm ein abgelegenes Anwesen mit allem Luxus. Zum Einzug holt er seine jüngste Tochter nach sieben Jahren zu sich - doch was folgt, ist alles andere als märchenhaft. Das Unternehmen kriselt, die familiären Verhältnisse werden zum Skandal. Und Wilhelms Tochter, die Erzählerin des Romans, muss zusehen, wie sie ihre Einsamkeit überwindet und den Weg in ihr eigenes Leben findet.
Bis wieder einer weint ist ein einfühlsames Porträt einer unglücklichen Familie im Ruhrgebiet der Nachkriegszeit und der bewegende Erziehungsroman einer Außenseiterin, die ihre Identität sucht. Eva Sichelschmidt erzählt eindringlich von Verlust, Geheimnissen und der Sehnsucht nach Geborgenheit.
Wilhelm und Inga Rautenberg sind das Traumpaar der Adenauer-Ära: Er erfolgreicher Dressurreiter und Erbe einer mittelständischen Firma kurz vor dem Weltmarkterfolg, sie eine bildschöne Arzttochter. Doch nur wenige Monate nach der Geburt des zweiten Kindes stirbt Inga an Leukämie. Die jüngere Tochter wächst bei den Großeltern auf, während die ältere beim Vater bleibt.
Um den Zwängen seiner strengen Mutter und der freikirchlichen Gemeinde zu entfliehen, baut sich Wilhelm ein abgelegenes Anwesen mit allem Luxus. Zum Einzug holt er seine jüngste Tochter nach sieben Jahren zu sich - doch was folgt, ist alles andere als märchenhaft. Das Unternehmen kriselt, die familiären Verhältnisse werden zum Skandal. Und Wilhelms Tochter, die Erzählerin des Romans, muss zusehen, wie sie ihre Einsamkeit überwindet und den Weg in ihr eigenes Leben findet.
Bis wieder einer weint ist ein einfühlsames Porträt einer unglücklichen Familie im Ruhrgebiet der Nachkriegszeit und der bewegende Erziehungsroman einer Außenseiterin, die ihre Identität sucht. Eva Sichelschmidt erzählt eindringlich von Verlust, Geheimnissen und der Sehnsucht nach Geborgenheit.
Eva Sichelschmidts Roman "Bis wieder einer weint"
Dass der Rezensent einmal das Wort "Klümpchen" in einem Roman finden würde, hätte er nicht erwartet. Bei der Lektüre weckt es ganze Erinnerungskaskaden an Kindertage. Der Proust'sche Madeleine-Effekt funktioniert also auch mit einem Bonbon, und es braucht den Geschmack gar nicht dazu (erfreulicherweise, denn Klümpchen waren und sind eine reichlich vollsaftige Angelegenheit), sondern der Klang eines umgangssprachlichen Begriffs genügt, um eine Zeit, eine Gegend, eine Stimmung heraufzubeschwören. Dergleichen Signalwörter (Markennamen, Fernsehsendungen, westfälisches Idiom) gibt es einige in Eva Sichelschmidts Roman "Bis wieder einer weint".
Angesiedelt ist er allerdings auf zwei Zeitebenen, in zwei fiktiven Gemeinden am südlichen Rand des Ruhrgebiets und in zwei Stimmungen: einer Familie erst im Aufbruch und dann im Zusammenbruch. Die zwanzigjährige Arzttochter Inga Lüdersheim verguckt sich in den elf Jahre älteren Unternehmersohn Wilhelm Rautenberg, und am Ende des ersten von vier Teilen des Romans sind beide verheiratet. Dann schlägt das Schicksal bürgerlich bitter zu: Geld-, Ehe- und Gesundheitsprobleme stellen sich ein, und wenn man der Handlung ihren Reiz nicht nehmen will, verrät man hier nichts weiter. Die zweite Zeitebene setzt zehn Jahre später ein, mit der Geburt von Susanne, der zweiten Tochter des Ehepaars. Sie begleiten wir beim Aufwachsen im Zeichen der erwähnten Probleme bis hinein ins junge Erwachsenenalter, und sie ist für ihre Hälfte des Buchs auch dessen Ich-Erzählerin (bei einer auffälligen biographischen Schnittmenge mit der Autorin).
Es ist Eva Sichelschmidts zweiter Roman nach "Die Ruhe weg", der 2017 bei Knaus herauskam. Diesen Verlag gibt es nicht mehr, er ging in Penguin auf, und ein Teil seiner Autoren verließ das Haus - über die Frage, von welcher Seite jeweils die Trennung ausging, mag man spekulieren. Jedenfalls ist Eva Sichelschmidt zu Rowohlt gewechselt, also einer prominenten Adresse, allerdings in den dortigen "Hundert Augen"-Imprint, wo man sein Glück mit etwas leichtfüßigerer Literatur versucht als im Hauptprogramm. Und die Erzählung aus weiblicher Perspektive über die sechziger bis neunziger Jahre passt ja auch genau ins Beuteschema des Buchhandels, dem die Babyboomer der lohnendste Kundenkreis sind. Da es so viele Angehörige dieser Generation gibt, erscheinen heute auch recht viele Romane über jene reizvollen Jahre, als die Babyboomer noch jung waren und sich nicht nur so fühlten.
So zwangsläufig wenig originell dadurch der Inhalt von "Bis wieder einer weint" ist, so ambitioniert ist die Form des Buchs. Erzählt wird im ständigen, auch typographisch hervorgehobenen Wechsel zwischen mit Schlagworten betitelten Abschnitten aus Ich-Perspektive (zu Susannes Leben) und durchnumerierten, dafür jedoch namenlosen auktorialen Kapiteln (parallel zum Leben von Susannes Vater Wilhelm). Die Namen der Ich-Abschnitte geben jeweils ein Leitmotiv vor, das dann auch das folgende, zeitlich jedoch stets früher angesiedelte Kapitel prägt. So wird der Kurzschluss, dass die Fehler des Vaters sich auf die Tochter vererbt haben könnten, subtil ausgehebelt, weil man zunächst immer von der Jüngeren erzählt bekommt. Erst ganz zum Schluss werden beide Zeitebenen zusammengeführt, in zwei Sätzen verschmelzen Ich- und auktoriale Perspektive. Die alten Leben sind zu Ende, ein neues wird für Susanne beginnen, aber nicht mehr in diesem Roman.
Im ersten Teil ist die Handlung noch fesselnd, auch weil da die frühen sechziger Jahre Thema sind, also eine mittlerweile weit zurückliegende Zeit, und sich Eva Sichelschmidt bisweilen brillante Sarkasmen erlaubt wie den über Susannes Großvater mütterlicherseits, der nach der Schule kurzzeitig erwogen hatte, Eisenbahner zu werden. Er wurde dann Augenarzt und darum beneidet, weil man es in dieser Profession selten mit großem Leid oder gar dem Tod zu tun habe. Auf diese Binsenweisheit folgt aber der Satz: "Ein Beamter der Deutschen Reichsbahn hätte mit beidem noch weniger zu schaffen gehabt, keine Frage." Bösartiger geht es kaum, bei einem Abiturienten des Jahres 1929, also kurz vor dem "Dritten Reich" und dessen Deportationen.
Später gehorcht das Geschehen dann den gängigen Schemata eines Familienromans; nur einige Krankenhausaufenthalte anlässlich Kindsgeburt und Therapie bieten noch einmal mitreißende Schilderungen. Manche wohl als Clou gedachte Volte dagegen verpufft, weil zu absehbar ist, was passieren wird. "Übermut tut selten gut", weiß Susannes Großmutter und sagt dann das, was dem Roman den Titel gegeben hat: "Bis wieder einer weint." Das Zitat steht auf Seite 159. Dann kennt man das Programm der noch folgenden zwei Drittel.
ANDREAS PLATTHAUS.
Eva Sichelschmidt: "Bis wieder einer weint". Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 476 S., geb., 22,- [Euro].
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Eva Sichelschmidt beschreibt mit gekonnten Zeitsprüngen den Aufstieg und Fall einer westdeutschen Familie in der Nachkriegszeit. Sie zeichnet voller Freude am Detail Lebenswelten, die uns prägten. Der Kern ihres Buches aber ist das Schicksal eines Mannes, der trotz Erfolg nicht das Leben führen durfte, das er ersehnte, und für dessen Unglück alle bezahlen müssen. Brigitte 20200603