Ein Mann auf der Suche nach sich selbst - echte Charaktere, unvorhersehbare Handlung, mehrdeutige Hinweise
Blaues Glas ist eine vielschichtige und ungewöhnliche Geschichte, die sich zwischen Liebesdrama, Selbstfindungstrip und spannendem Thriller bewegt – mit Figuren, die alles andere als
glattgebügelt sind.
Mei ist ungebildet, impulsiv, wenig selbstreflektiert, kommunikativ unbeholfen,…mehrEin Mann auf der Suche nach sich selbst - echte Charaktere, unvorhersehbare Handlung, mehrdeutige Hinweise
Blaues Glas ist eine vielschichtige und ungewöhnliche Geschichte, die sich zwischen Liebesdrama, Selbstfindungstrip und spannendem Thriller bewegt – mit Figuren, die alles andere als glattgebügelt sind.
Mei ist ungebildet, impulsiv, wenig selbstreflektiert, kommunikativ unbeholfen, manipulativ und hat kaum Selbstwertgefühl – dabei aber eine erstaunlich feine Intuition, wenn es darum geht zu spüren, was andere brauchen. Ihre Ecken und Kanten wirken nie aufgesetzt, sondern sehr echt und verlangen einem einiges ab. Ihre Lebensgeschichte ist schrecklich, gleichzeitig werden im Laufe der Handlung Fragen ob ihrer Authentizität aufgeworfen, die es sehr spannend machen.
Martin ist ein zurückhaltender Mann mit offenen Wunden aus der Kindheit, der in Hongkong versucht, zu sich selbst zu finden. Er bleibt lange eher blass. Man bekommt zwar ergreifende Einblicke in seine herzzerreißende Lebensgeschichte, aber seine Gefühle für Mei bleiben lange recht abstrakt. Die Liebesgeschichte zwischen den beiden wirkt deshalb über weite Strecken mehr funktional als fühlbar – als hätten sich zwei Menschen gefunden, die vor allem nicht allein sein wollen. Erst gegen Ende offenbart sich etwas mehr über Martins Wesen und wie er in Bezug auf Frauen tickt, was die Beziehung zwischen den beiden zumindest rückblickend besser verständlich macht.
Richtig stark ist der Suspense-Plot: mysteriöse Vorgänge im Hafen, ein merkwürdiger Journalist, ein Verschwinden – da wird nach und nach ein Puzzle gelegt, bei dem man als Leserin oder Leser miträtseln kann. Besonders spannend fand ich, wie scheinbar harmlose Szenen aus dem ersten Teil im Zweiten ganz anders zusammengesetzt werden und Martin unter Verdacht gerät. Der Thriller-Anteil ist wirklich gut gemacht und sorgt dafür, dass man dranbleiben will.
Die Spannung nimmt auch noch weiter zu, da man nicht weiß, was Mei im Schilde führt. Hängt sie mit drin oder ist sie nur deshalb so manipulativ, weil sie glaubt, Martin damit besser an sich binden zu können und sicherzustellen, dass er das Richtige tut? Und wird er das Geld für die Entführer zusammengekratzt bekommen oder nicht? Und wie sehr muss er sich dafür erniedrigen? Man vergeht förmlich vor Mitgefühl.
Und wird Martin es in diesem ganzen Drama schaffen, sein Verhältnis zu seiner Schwester zu klären und mit der Vergangenheit abzuschließen? Und was hat es eigentlich mit der blauen Glasscherbe auf sich? Fragen über Fragen…
Am Ende wird deutlich, dass Blaues Glas eine Geschichte über den Zufall ist. Von der Adoption, die ein paar Stunden „zu früh“ stattgefunden hat, bis hin zur Ladehemmung des Scharfschützen am Ende. Als Leser:in muss man damit leben können, dass manches in der Geschichte mehrdeutig ist und bleibt und dass es sich in Summe um eine Tragödie handelt.