Patchwork, Homo-Ehe, In-vitro-Fertilisation - was die einen als Untergang des Abendlandes bezeichnen, ist für andere eine Öffnung unserer Konzepte von Liebe, Beziehung und Familie. Christina von Braun, eine der renommiertesten Kulturwissenschaftlerinnen des Landes, blickt weit in die Geschichte zurück, um zu erklären, wie sich unsere Vorstellungen von Verwandtschaft entwickelten. Ihr neues Grundlagenwerk wird unseren Blick auf die Gegenwart verändern. "Blut ist ein ganz besonderer Saft", sagt Mephisto zu Faust, den er den Pakt mit seinem Blut unterschreiben lässt. Für die Kultur des Westens sind "Blutsbande" auch die Basis von Verwandtschaft. Das gilt nicht für alle Kulturen. Christina von Braun zeigt in ihrem neuen Standardwerk, auf welchen Vorstellungen die Idee der Blutsverwandtschaft beruht und wie sich diese Vorstellungen im Zeitalter von Genetik und Reproduktionsmedizin verändern. Einerseits verfestigt sich die Idee einer langen Kette von Blutsverwandten. Auf der anderen Seite treten aber auch soziale und kulturelle Definitionen von Verwandtschaft in den Vordergrund: Vertrauen in und Verantwortung für einander ersetzen die Blutsbande. Christina von Brauns Kulturgeschichte der Verwandtschaft ist so materialreich wie erhellend.
Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
Rezensent Cord Riechelmann folgt Christina von Braun fasziniert durch ihre Kulturgeschichte der Verwandtschaft. Laut Kritiker schlägt Braun einen Bogen von frühen, vermeintlich archaischen Arten der Wahlverwandtschaft über das lange Zeit in der westlichen Welt dominante Bild der Blutsverwandtschaft hin zu den heutigen Formen familiärer Mobilität. Riechelmann lernt von ihr, dass die Tradition, Verwandtschaft als patrilineare Blutsbande zu bestimmen, derzeit durch den Siegeszug der Patchworkfamilie, die homosexuelle Elternschaft sowie die Möglichkeiten, die die zeitgenössische Reproduktionsmedizin eröffnet, an Boden verliert. Dass Braun Professorin für Kulturtheorie mit Schwerpunkt Geschlecht und Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin ist, spürt der Kritiker: Man könne trotz des hohen Abstraktionsgrades immer gut folgen, freut sich der Rezensent. Besonders vergnügt hat er Brauns Forderung an die Psychoanalyse gelesen, ein begriffliches Instrumentarium zu entwickeln, das über das im Modell der Blutsverwandtschaft verhaftete Dreieck Vater, Mutter, Kind hinausgehe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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» Der Leser kann hier viel lernen. (...) Blutsbande entstehen und vergehen nicht, sie liegen vor. « Süddeutsche Zeitung 20180319







