Raus aus dem Paradies Dem Schriftsteller
A. J. Grayson gelingt mit seinem Debüt "
Boy in the Park. Wem kannst du trauen?" ein beklemmender und verstörender Thriller.
Dylan Aaronson führt ein behagliches, zurückgezogenes Leben "als Kassierer in einem Laden für Naturkost- und Nahrungsergänzungsmittel" in San Francisco. Der Mittvierziger hält sich für einen Dichter. Allerdings hat er noch nie ein Gedicht veröffentlicht. Seine Mittagspausen verbringt der Einzelgänger im Golden Gate Park in der Mitte der US-amerikanischen Westküstenstadt mit ausgedehnten Naturbeschreibungen.
"Ganz in der Nähe stößt ein Vogel herab - eine Einsiedlerdrossel, ich bin mir ziemlich sicher - und landet auf einem der Felsen im Wasser. Der Lufthauch der Flügel kräuselt die Oberfläche und versetzt den reglosen Spiegel in wellenförmige Bewegung. Hier liegt ein Gedicht. Ich spüre es. Eingewoben in das Grün, die Menschen, dem natürlichen Auf und Ab des Lebens. Ein Gedicht, das darauf wartet, gefunden zu werden, das darauf wartet, ausgesprochen zu werden. Eines, das von Hellerem kündet als der dunklen Welt, die es gebiert."
Diese sprachlich fein gearbeiteten Beschreibungen, die Dylan als Icherzähler des Romans "
Boy in the Park" (Droemer) aus der Feder des Debütanten
A. J. Grayson verwendet, stehen im Gegensatz zu der düsteren, verstörenden und nervenzerreißenden Geschichte, die sich langsam entspinnt und den Leser in einen nahezu unerträglichen Spannungssog hineinzieht. Denn der Junge, den Dylan jeden Mittag im Park beobachtet und der ihn an Huckleberry Finn erinnert, taucht plötzlich mit einer blutenden Wunde auf. Und am Tag darauf ist er verschwunden. Dylan wendet sich an die Polizei. Aber da der Name des Jungen nicht bekannt ist, nimmt die keine Ermittlungen auf. Der Junge und sein mögliches Schicksal lassen Dylan nicht los. Er beschließt, sein geruhsames Leben zu verlassen, um sich auf die Suche nach ihm zu machen. Die erste Spur, ein Kassenbon für ein Getränk, führt ihn in die Kleinstadt Redding, vier Stunden von San Francisco entfernt.
Es ist schwierig, über diesen Roman, der als Krimi beginnt und sich in einen komplexen, äußerst klug konstruierten und teilweise sehr harten Psychothriller verwandelt, etwas zu schreiben, ohne dabei zu viel von der Handlung und den überraschenden Wendungen in der Geschichte zu verraten. Nur so viel: Dylan gerät in eine Familie mit Psychopathenvater, der seine Frau und Kinder schlägt und misshandelt. Und dies zwingt Dylan, diesen feinsinnigen Menschen, zu einer unglaublichen Tat. Die Passagen, die aus der Sicht von Dylan erzählt werden, wechseln sich mit Verhör- bzw. Therapieprotokollen aus einer Justizvollzugsanstalt ab. In ihnen interviewt eine Psychologin einen Insassen mit Namen Joseph, der behauptet, seine Frau nicht umgebracht zu haben. Auch dieser Fall hat mit Dylan zu tun - in welcher Form, das wird durch eine komplexe und spannend strukturierte Handlung nach und nach enthüllt. Das Ende ist, so viel muss verraten werden, sehr überraschend und originell.
"Wem kannst du trauen?", fragt der Untertitel des Buches. Diese Frage ist so etwas wie das Leitmotiv dieser schmerzvollen und kunstvoll erzählten Geschichte von einem Autor, der bereits in seinem Debüt eine erstaunliche Sprachkraft entwickelt. Und diese Frage deutet auch an, dass man nichts und niemandem trauen darf - womöglich auch dem Erzähler dieses Thrillers nicht. Häusliche Gewalt ist das Thema in "
The Boy in the Park". Ein äußerst schwieriges Thema für einen Debütroman, das von
Grayson aber sehr souverän und überzeugend dramaturgisch entrollt wird. Ein Vorgehen, das von einem Schriftsteller zeugt, von dem man in Zukunft noch einige herausragende Arbeiten des Thrillergenres erwarten darf.
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