Zum ersten Mal wird der Briefwechsel Sigmund Freuds mit einem seiner Kinder veröffentlicht. Die knapp 300 Schriftstücke vereinigen vertraute und vertrauliche Äußerungen über Ereignisse in der engeren und weiteren Familien- und Freundessphäre - etwa Ferienerlebnisse, Geselligkeit, Geburten und einschneidende Todesfälle, Kriegs- und Nachkriegswirkungen, Wohnungsprobleme, Gesundheitsfragen und Kuraufenthalte - mit dem Austausch über berufliche Themen: Fortschritte in Freuds, später auch in Annas wissenschaftlichen Arbeiten, Schüler und Mitarbeiter, internationale Ausbreitung und Publikationen der Psychoanalyse; sie spiegeln so die charakteristische Verknüpfung wider, die das Individuell-Private mit dem Psychoanalytischen verbindet. Zugleich vermitteln uns diese Zeugnisse eine Vorstellung von der Alltagskultur einer bürgerlichen Familie in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, geben Einblicke in das wechselvolle Heranwachsen Annas aus einer schwierigen Kinder- und Jugendzeit zur kreativen, weltberühmten Analytikerin, Hüterin und Fortsetzerin des väterlichen Werkes und machen den durch seine Tochter ausgelösten bedeutsamen Wandlungsprozeß Sigmund Freuds und seines Frauenbildes deutlich. Die zahlreichen editorischen Anmerkungen ergänzen die Korrespondenz zu einer materialreichen wissenschaftshistorischen Quelle ersten Ranges für die klassischen Jahrzehnte der psychoanalytischen Bewegung - bis hin zu ersten Eindrücken in der Londoner Emigration.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der "Briefwechsel 1904-1938" zwischen Sigmund Freud und seiner jüngsten Tochter Anna, herausgegeben von Ingeborg Meyer-Palmedo, spiegele die Intimität der Beziehung und ihre Wandlung im Laufe der Jahre wieder, stimmt der Rezensent Ludger Lütkehaus der Meinung der Herausgeberin zu. Er ist begeistert von der fast vollständigen Sammlung der Briefe, die einen Einblick in die Charaktere der Verfasser biete, muss aber einräumen, dass viele der Briefe auch Belangloses zum Thema hätten, etwa die Meldungen aus den Ferien. Außerdem hätten Freud und seine Tochter ohnehin nicht häufig so weit voneinander entfernt gelebt, dass sie mit Briefen miteinander kommunizieren mussten, was einige Lücken enstehen lässt. Quasi als Ausgleich hatte die Herausgeberin einen "riesigen" Kommentar verfasst, der den Rezensenten aufgrund seiner Detailliertheit besonders beeindruckt. Allerdings fragt er sich auch, ob dieser "Exzess an Kommentar" wirklich immer notwendig ist, um einen Einblick in die innige Beziehung zwischen Sigmund und Anna Freud zu erhalten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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