Eigentlich findet Margret es ziemlich blöd, dass ihr bester Freund Akki sie als „Ausgleichskind“ bezeichnet. Als das Kind, das, wenn Zuhause bei den Eltern nicht alles so läuft, wie diese es sich wünschen, diejenige sein muss, die funktioniert und gute Ergebnisse vorweisen kann. Aber wenn sie das
nicht ist, warum übt sie dann so fleißig Klavier, obwohl das Klavierspielen doch eigentlich der Traum…mehrEigentlich findet Margret es ziemlich blöd, dass ihr bester Freund Akki sie als „Ausgleichskind“ bezeichnet. Als das Kind, das, wenn Zuhause bei den Eltern nicht alles so läuft, wie diese es sich wünschen, diejenige sein muss, die funktioniert und gute Ergebnisse vorweisen kann. Aber wenn sie das nicht ist, warum übt sie dann so fleißig Klavier, obwohl das Klavierspielen doch eigentlich der Traum ihrer Mutter war? Warum lässt sie ihre Klassenkameraden im Stich, und dazu noch gerade dann, wenn es um wichtige Aktionen für die Umwelt geht? Und warum ertappt sie sich immer öfter dabei, sowohl ihre Familie, als auch ihre Freunde anzulügen, nur damit alle zufrieden sind? Vor allem aber: Wie soll sie aus diesem Netz aus Lügen wieder herauskommen?
Kirsten Boie sagt es im Vorwort zur Neuauflage ihres Romans selbst: „Das Ausgleichskind“ ist nicht sonderlich gut gealtert. Jedenfalls oberflächlich nicht. Gefühlt versetzt einen die Geschichte umstandslos in die 1980er Jahre zurück. Für mich, die ich selbst in dieser Zeit aufgewachsen bin, war das kein Problem (auch wenn mir die Kommunikationsebene der Eltern sogar für diese Zeit schon etwas angestaubt vorkam). Aber inwieweit sich junge Leser von heute davon angesprochen fühlen und sich identifizieren können, kann ich nicht sagen.
Auf der wesentlichen Ebene bleibt Boies Buch aber (leider) immer noch sehr aktuell. Umweltzerstörung ist nach wie vor unser größtes Problem, auch wenn sich in den speziellen Punkten, die in der Geschichte angegangen werden, ein wenig was verändert haben mag. Aber bei weitem nicht genug, dass besonders die Eigenverantwortung eine wichtige Botschaft bleibt.
Und natürlich gibt es auch immer noch Eltern, die ihre Träume und Wünsche auf ihren Nachwuchs projizieren. Und Kinder, die mit diesen Ansprüchen irgendwie umgehen müssen. Vielleicht ist es auch gerade spannend, zu vergleichen, wie ähnlich sich manche Situationen in den unterschiedlichen Generationen bleiben.
Vor allem aber hat „Das Ausgleichskind“ das, was ich an allen Boie-Büchern schätze und liebe: Sie versteht es einfach – unabhängig von der Schwere der Thematik – ein Gefühl zu erzeugen, das sagt, dass im Grunde alles gut ist. Einen unerschütterlichen Kern heiler Welt, den die Kinderbücher, die mich am meisten geprägt haben, alle in sich hatten, und der mir noch als Erwachsene Halt geben kann.
„Das Ausgleichskind“ ist vielleicht nicht mein Lieblings-Boie-Buch, aber es hat einen besonderen Wert, weil es zum Nachdenken und vor allem zum Aktivwerden einlädt. Darum eine Leseempfehlung von mir.