It’s running in the family
„Das Erbe der Karolinger“, ein historischer Roman von Claudius Crönert, erschienen 2025 bei Bastei Lübbe, macht mit 813 Seiten eine Ansage – aber hier lohnt sich jede Seite, vor allem, wenn man sich für die Karolingerzeit interessiert, und tatsächlich kann man diesen
Roman auch vollkommen ahnungslos genießen. Crönert gelingt der Tanz auf dem Seil zwischen einem gut…mehrIt’s running in the family
„Das Erbe der Karolinger“, ein historischer Roman von Claudius Crönert, erschienen 2025 bei Bastei Lübbe, macht mit 813 Seiten eine Ansage – aber hier lohnt sich jede Seite, vor allem, wenn man sich für die Karolingerzeit interessiert, und tatsächlich kann man diesen Roman auch vollkommen ahnungslos genießen. Crönert gelingt der Tanz auf dem Seil zwischen einem gut recherchierten Roman, der nah an der Historie bleibt und sich trotzdem erzählerische Freiheiten nimmt, was der Geschichte und dem Unterhaltungswert sehr guttut.
Claudius Crönert umreißt in seinem, nun, man muss es schon „Werk“ nennen, das Leben des Karolingerkaisers Ludwig, Sohn von Karl dem Großen, von 817-840 n. Chr. Das Buch ist zunächst einmal optisch eine Augenweide, ich mag das schlichte, aber elegante und eindrückliche Cover sehr gern, innen eine Karte, die mir einen tollen Überblick über das Reich gibt, das farblich passende Lesebändchen, die Wiederholung des Umschlagmotivs am Anfang der Teile – das macht was her. Ein Personenverzeichnis wird uns auch spendiert, immer hilfreich bei historisch komplexen Werken. Die Kapitellänge ist ideal getroffen für mich, die Gliederung nach fünf zeitlichen Abschnitten des Regiments von Ludwig sinnvoll. Auf der Formebene also schon einmal alles richtig gemacht! So weit, so trocken? Zum Glück nicht, denn Crönert gelingt das Kunststück, die Karolingerzeit mit vielen Details lebendig und erfahrbar zu machen, ohne dabei jemals die Handlung zu überfrachten oder den Faden zu verlieren zwischen den vielen Geschwistern, Familienanteilen und Bundgenossen. Ludwig ist ein sympathischer Herrscher mit so einigen Schwächen, die ihn sehr menschlich machen. Der Konflikt zu seinen Söhnen und Beratern ist von Anfang an klar im Raum und wird sich im Verlauf der Handlung immer weiter ausweiten. Ludwig ist ein Mann, der neue Wege geht, mit der Ordinatio Imperii schafft er die Basis für ein Großreich, indem er seinen Sohn Lothar als zweiten Kaiser installiert. Nur ist Lothar der richtige Mann dafür? Ziemlich sicher nicht, denn schon nach wenigen Tagen, die er regiert, wird klar, dass er ein machthungriger Willkürherrscher sein wird. Doch auch die anderen Söhne, Pippin, der kleine Ludwig, Karl – sie alle schielen auf ihre Portion von Reich und Erbe und tragen wenig zum Zusammenhalt bei. Letztlich nicht weit entfernt von Erbschaftsstreitereien, die auch heute noch in vielen Familien nach Ableben der Eltern auftreten. Doch hier geht es um mehr als nur bloßen Besitz.
Crönert begleitet Ludwig durch die vielen Ups and Downs seiner Herrscherzeit und hat dabei immer einen großen Blick auf die klugen Frauen hinter der Macht. Sehr deutlich arbeitet er heraus, wie sehr sich die Herrscherfamilie selbst schwächt, weil niemand, auch Ludwig nicht, es schafft, die eigenen Meinungen und Interessen hintenan zu stellen oder gar wirkliches Verständnis für den anderen aufzubringen, die Perspektive zu wechseln. Letztlich haben sich alle in unbewegliche Positionen verrannt – so kann es nicht gut gehen. Wahrscheinlich das Schicksal aller großen Herrschergeschlechter. Immer mehr bricht die Familie auseinander und vergeht sich zunehmend aneinander. Ein hoher Preis für etwas Macht.
Wo Männer regieren, wird es immer schwierig... Auch das finde ich ist im Roman wirklich gut herausgearbeitet, es ist deutlich spürbar, dass die Frauen im Hintergrund die klügeren Entscheidungen treffen würden. Und egal, ob das verbrieft ist oder nicht – das ist bis heute eindeutig die Situation. Einfach traurig, wie es hier alle nicht hinbekommen, wirklich an ein Reich, ein Land zu denken und die Menschen, die darin wohnen, sondern immer den eigenen Stolz voranstellen.
Ich habe einen sehr gut recherchierten Roman lesen dürfen, der nah an der Historie bleibt und sich trotzdem erzählerische Freiheiten nimmt, was der Geschichte einen hohen Unterhaltungswert gibt. Ich war auch dankbar, dass einmal nicht übertriebene Romance und Spice eingebaut wird, sondern es eher darum ging zu zeigen, dass auch Zweckarrangements zu Nähe und Verbundenheit führen können. Das Einzige, was mich am Ende dann doch gestört hat, waren die energetischen und hellseherischen Fähigkeiten einer Figur – das war mir dann doch eins drüber und das hätte ich wirklich nicht gebraucht, für mich wirkte das auch sehr unmotiviert in der Handlung, zumal es als Motiv auch nicht wirklich durchgeführt wird. Darauf hätte ich also gut verzichten können, irgendwie passt es für mich nicht zu diesem ansonsten hervorragenden Roman, der mir viel Wissen über die Karolingerzeit nahegebracht und mich dabei sehr gut unterhalten hat. Ein Leseprojekt, an das man sich unbedingt herantrauen sollte und das auf jeden Fall belohnt wird.