Vertiefung und Erweiterung charakterisieren die Europäische Union zu Be ginn des 21. Jahrhunderts. Als erfolgreiches Ordnungsmodell des europäi schen Kontinents kommt sie nicht umhin, auch jene europäischen Staaten in ihre Reihen aufzunehmen, die aus den unterschiedlichen Gründen bislang Abstand gehalten hatten. Insbesondere muß sie jenen Staaten einen Platz bieten, die lange Jahre Abstand halten mußten, weil sie bei der Teilung Euro pas durch den Ost-West-Konflikt auf die sowjetische Seite geraten waren. Gleichzeitig drängen sich der Europäischen Union neue Aufgaben auf: sozial und wirtschaftspolitische Harmonisierung nach der Vollendung der Wäh rungsunion, Umwelt- und Verbraucherschutz, Verbrechensbekämpfung, eine gemeinsame Außenpolitik und eine eigenständige Sicherheitspolitik. All dies macht institutionelle Reformen noch dringlicher, als sie ohnehin schon sind: Mit einer Struktur, die ursprünglich auf die Herbeiführung und Gewährlei stung eines Gemeinsamen Marktes von sechs Mitgliedsstaaten hin konzipiert war, kann die Europäische Union den vielfältigen Aufgaben, die sie unterdes sen übernommen hat und jetzt noch zusätzlich übernehmen muß, nicht mehr gerecht werden. Vertiefung und Erweiterung stellen keine gegensätzlichen Optionen dar, auch wenn dies viele Anwälte einseitiger Interessenpolitik behaupten. Weder läßt sich die Osterweiterung der Europäischen Union mit dem Hinweis auf die zuvor erforderlichen Reformen auf die lange Bank schieben noch wird eine solche gewaltige Ausweitung der Mitgliederzahl ohne eine Stärkung der Ge meinschaftsstrukturen zu leisten sein. Wie beides miteinander in Einklang gebracht werden soll, ist damit freilich noch nicht gesagt. Die gegenwärtige Umgestaltung der Europäischen Union istGegenstand eines politischen Kräfteringens ebenso wie einer ideell-konzeptionellen Debatte.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Um eine Rückfrage nach den "Motiven" der steten Annäherung der europäischen Staaten und um die "Lehren", die sich für die Zukunft daraus ergeben, geht es diesem Sammelband. Eigentlich jedenfalls - im ersten Teil jedoch handelt es sich, findet der Rezensent Stefan Fröhlich um nicht mehr als eine "Bündelung von historischen Analysen", die keine Verknüpfung zum zweiten Teil herstellen. Dieser hat Fröhlich dann besser gefallen, obgleich er die These des Herausgebers, die Entwicklung sei eine dialektische, eher selten wiederfindet. Zwei einzelne Aufsätze werden erwähnt - positiv der von Sabine Voglrieder zur "Identität" Europas und eher negativ der von Johannes Varwick zur europäischen Außenpolitik -, fürs größere Ganze fühlt sich der Rezensent aber eher selbst zuständig und leitartikelt über längere Strecken vor sich hin. Am wichtigsten scheint ihm das Thema "institutionelle Reformen", das ihm leider im besprochenen Buch viel zu kurz kommt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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