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Angesichts der Ereignisstürme im gegenwärtigen Finanzgeschäft widmet sich Joseph Vogl den Wahrnehmungsweisen, Theorien und Problemlagen dessen, was man mit gutem Grund immer noch Kapitalismus nennen muss. Gerade Finanzmärkte gelten als das Marktgeschehen schlechthin: Unbelastet von den Beschwernissen der Produktion sind sie - für die herrschende ökonomische Doktrin - Schauplätze eines perfekten Wettbewerbs und idealer wirtschaftlicher Ausgleichprozesse: ein segensreiches Zusammenspiel von gewinnorientierten und also ebenso rationalen wie zuverlässigen Akteuren. Darum wollte man in…mehr

Produktbeschreibung
Angesichts der Ereignisstürme im gegenwärtigen Finanzgeschäft widmet sich Joseph Vogl den Wahrnehmungsweisen, Theorien und Problemlagen dessen, was man mit gutem Grund immer noch Kapitalismus nennen muss. Gerade Finanzmärkte gelten als das Marktgeschehen schlechthin: Unbelastet von den Beschwernissen der Produktion sind sie - für die herrschende ökonomische Doktrin - Schauplätze eines perfekten Wettbewerbs und idealer wirtschaftlicher Ausgleichprozesse: ein segensreiches Zusammenspiel von gewinnorientierten und also ebenso rationalen wie zuverlässigen Akteuren. Darum wollte man in Spekulationsblasen und Crashs bloße Anpassungskrisen oder jene Ausnahmesituationen erkennen, die im irrationalen Überschwang eines vielleicht gierigen, vielleicht inkompetenten oder schlicht rücksichtslosen Spekulationswesens gründen.

Hier setzen die Fragen des Essays an: Sind die irrationalen Exuberanzen wirklich Ausnahmefälle oder nicht eher reguläre Prozesse im Getriebe kapitalistischer Ökonomien? Reicht die Unterscheidung von rational und irrational überhaupt hin, die Effekte dieses Systems zu fassen? Begegnet ökonomische Rationalität hier nicht unmittelbar ihrer eigenen Unvernunft? Arbeitet das System tatsächlich effizient und rational?

Einer ebenso historischen wie theoretischen Sondierung folgend, hegt der Essay einen grundlegenden Zweifel darüber, ob die alte liberale Hoffnung auf die ausgleichende Ordnungsmacht des Marktes - Adam Smiths berühmte 'unsichtbare Hand' - noch gerechtfertigt ist. So wenig der Kapitalismus als reiner Rationalisierungsprozess beschrieben werden kann, so wenig lassen sich Spekulation und Spekulanten als verworfene oder pathologische Ausnahmegestalten begreifen. Das liegt nicht zuletzt an den Dynamiken der modernen Finanzökonomie, die sich auf die Wirkungsweise einer stets offenen und ungewissen Zukunft verpflichtet. Für die Märkte der futures und Derivate ist Zukunft, d.h. Zeit zur unerschöpflichen Ressource geworden. Im Zentrum steht das Wissen um jene scheinbar irregulären Ereignisse, in denen die finanzökonomische Welt unlesbar und undurchschaubar geworden ist: Hier wirken Ungewissheit und Instabilität im Herzen des Systems; und hier vollzieht sich ein Angriff der Zukunft auf die übrige Zeit - das Gespenst des Kapitals.
Autorenporträt
Joseph Vogl ist Professor für Neuere deutsche Literatur, Literatur- und Kulturwissenschaft/Medien an der Humboldt-Universität zu Berlin und Permanent Visiting Professor an der Princeton University, USA. Mit 'Das Gespenst des Kapitals' (2011) hat Joseph Vogl 'einen heimlichen Bestseller geschrieben, der weit über die Feuilletons Aufsehen erregte' (DER SPIEGEL).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Großartig findet Rezensent Christian Schlüter diesen Essay des Kulturwissenschaftler Joseph Vogl, der darin der ökonomischen Lehre mit literaturwissenschaftlichen Mitteln beizukommen versucht. Vogl macht sich daran, den wirklichkeitsfernen Kern der Wirtschaftswissenschaft herauszuarbeiten und verfolgt über die Jahrhundert, auf welch fiktionalem Grund die aberwitzigsten Theoreme aufgestellt wurden. Schlüter öffnet das die Augen, und er erkennt in so manchem ökonomischen Text eine geradezu "verzweifelte Flucht nach vorn". Dankbar ist der Rezensent auch für den Hinweis auf den Mathematiker Benoit Mandelbrot, der schon in den 60er Jahren von der "launischen oder monströsen Ereignishaftigkeit" des ganz und ganz irrationalen Marktes sprach, von den "freak events". Überfällig erscheint Schlüter Vogls Plädoyer für eine "Säkularisierung des ökonomischen Wissens".

© Perlentaucher Medien GmbH
»So pointiert, faktengesättigt und geistesgeschichtlich inspiriert kommt keine zweite Analyse unserers Wirtschaftssystems daher.« Christian Geyer, FAZ