Ein grandioses Panorama der abendländischen Kultur, aufbereitet als funkensprühender Zeitroman
Im Anfang war das Wort. Mit dessen Fleischwerdung begann das ebenso grandiose wie lächerliche Spektakel 'Menschheitsgeschichte'. Inge Merkels historisches Großpanorama zeigt den düsteren Filz aus Verblendung und Niedertracht, es spürt aber auch den paar spärlichen Goldfäden nach. Im Wien des ausgehenden 20. Jahrhunderts - wo sonst? - mündet die 'tour de force' in ein feierliches Requiem.
Alles beginnt mit dem Auftrag der texanischen Kleinstadt Paragonville an Professor Singer, zum hundertjährigen Gründungsjubiläum eine Gräuel-Chronik der Alten Welt zu verfassen, auf dass sich ein moralisch makelloses Amerika umso strahlender davon abhebe. Singer ist ratlos. Sosehr er das Geld braucht, so wenig mag er sich kaufen lassen. Gottlob weiß die Nachbarin Rat. Kurzerhand staffiert sie sein gelehrtes Traktat mit vergnüglichen Histörchen aus, 'Windeier' genannt, und lässt in einer schwindelerregenden Geisterbahnfahrt einige tausend Jahre Welttheater Revue passieren. Inge Merkel hat einen atemberaubend klugen Universalroman über Gott und die Welt geschrieben, ein anthropologisches Grundbuch über den ewigen Widerstreit zwischen Glauben und Aberglauben, Einsicht und Dämonie, humaner Kultur und der allzeit drohenden Verluderung der Welt.
Eine 'Wiener Weltchronik' voll erfinderischem Übermut und der Lust am pointenreichen Erzählen.
"Ihre Grundhaltung ist Mut: Mut zur Öffnung des Käfigs, in dem das wilde Tier in uns haust." Hilde Spiel
Im Anfang war das Wort. Mit dessen Fleischwerdung begann das ebenso grandiose wie lächerliche Spektakel 'Menschheitsgeschichte'. Inge Merkels historisches Großpanorama zeigt den düsteren Filz aus Verblendung und Niedertracht, es spürt aber auch den paar spärlichen Goldfäden nach. Im Wien des ausgehenden 20. Jahrhunderts - wo sonst? - mündet die 'tour de force' in ein feierliches Requiem.
Alles beginnt mit dem Auftrag der texanischen Kleinstadt Paragonville an Professor Singer, zum hundertjährigen Gründungsjubiläum eine Gräuel-Chronik der Alten Welt zu verfassen, auf dass sich ein moralisch makelloses Amerika umso strahlender davon abhebe. Singer ist ratlos. Sosehr er das Geld braucht, so wenig mag er sich kaufen lassen. Gottlob weiß die Nachbarin Rat. Kurzerhand staffiert sie sein gelehrtes Traktat mit vergnüglichen Histörchen aus, 'Windeier' genannt, und lässt in einer schwindelerregenden Geisterbahnfahrt einige tausend Jahre Welttheater Revue passieren. Inge Merkel hat einen atemberaubend klugen Universalroman über Gott und die Welt geschrieben, ein anthropologisches Grundbuch über den ewigen Widerstreit zwischen Glauben und Aberglauben, Einsicht und Dämonie, humaner Kultur und der allzeit drohenden Verluderung der Welt.
Eine 'Wiener Weltchronik' voll erfinderischem Übermut und der Lust am pointenreichen Erzählen.
"Ihre Grundhaltung ist Mut: Mut zur Öffnung des Käfigs, in dem das wilde Tier in uns haust." Hilde Spiel
Alter schützt vor Jugend nicht: Die Manesse-Bibliothek hat "Das große Spektakel" von Inge Merkel aufgenommen - und endlich wieder zugänglich gemacht.
Wenn einem gleich im ersten Satz mit Genussentzug und Gewissensbelastung gedroht wird, falls man die "gelehrten Partien" dieses dicken Buchs "auslässt", und wenn einem dann auf der zweiten Seite verboten wird, das Vorwort, das 160 Seiten umfasst, zu "überschlagen", fällt einem Daniel Pennacs "Wie ein Roman" ein, in dem einige Rechte des Lesers aufgezählt werden. Seiten auszulassen zum Beispiel. Seltsamerweise ist man bei Inge Merkels "Großem Spektakel" weniger bei den gelehrten Partien als bei den "unterhaltsamen" versucht, manchmal ein wenig schneller zu lesen.
Der Roman ist eine Rahmenerzählung, die in Wien spielt, die Ich-Erzählerin, Merkels Alter Ego, bekommt einen neuen Nachbarn, die beiden kennen sich aus alten Zeiten (und wir kennen beide aus Merkels Debüt "Das andere Gesicht"), es ist Herr Singer, Jude, Historiker, der von einer texanischen Kleinstadt den Auftrag bekam, einen "Überblick über die europäische Geschichte mit Bevorzugung ihrer Greuel- und Irrsinnsabschnitte" zu schreiben, allerdings erwarte man "Spannung, Unterhaltung, action". Damit steckt der gute Singer in der Patsche, er braucht das Honorar, ist aber nur zu "übergelehrten Abhandlungen" fähig. Dazu gehört auch, dass er vor allem die Religionen interessant findet, den Ursprung aller Kultur und Kunst. Er fängt bei der vielbrüstigen Artemis von Ephesos an, bei der "die große Auseinandersetzung der beiden Religionskonzepte beginnt", des Weiblichen und Männlichen, des Sinnlichen und Rationalen. Singers Beitrag ist hinreißend, gerade durch seine Abschweifungen und Fußnoten, die, wenn man nur einen Funken Spaß an den chaotischen Verhältnissen antiker Götterwelt und den Anfängen unseres Christentums hat, ungemein spannend und von einer, möchte man sagen, erotischen Gelehrtheit sind.
Für die Amerikaner ist das natürlich alles zu trocken und zu hochtrabend. Zum Glück springt die Nachbarin ein, die Frau Doktor, sie verwandelt die Tatsachen in sogenannte Windeier, "unseriöse Machwerke", in denen aber die Komik das Gleiche ist wie die "Punzierung für ein Goldstück". Herrlich wieder, Punzierung oder nicht, als Singer den Boden seiner Wohnung mit Marienbildchen belegt, darunter der Darstellung einer lasziven Madonna. Sie wäre Grund genug, nach Amiens zu reisen, dort steht sie hüftschwingend am Südportal der Kathedrale, der englische Kunsthistoriker Ruskin hat ihr den hübschen Beinamen "La soubrette picarde" (die picardische Zofe) gegeben; auch Proust hat sie sehr bewundert. Auch diese Episode schmückt die Ich-Erzählerin wieder aus und erzählt sie als historischen Roman, sie macht das verlockend und geheimnisvoll, mit viel Atmosphäre, aber irgendwie fehlt doch der geistige Anreiz.
Artemis und Madonna, sie geben den Anlass zu herrlichen philosophischen Streitgesprächen zwischen Singer, seiner Nachbarin und noch einem Dritten im Bunde, dem Benediktiner Thugut, es geht um Kult und Anbetung, um Götzen und Götter, der Jude wirft dem Christen Populismus vor, der Christ dem Juden elitäres Verhalten. Die Erzählerin sucht sich von beidem etwas aus; in ihre ebenso elitäre wie bedenkenswerte Warnung vor dem "Pöbelmorast", den ungebildeten und unaufgeklärten Massen, steckt eine Prise Cioran, Stichwort: "Verfehlte Schöpfung", und Ortega y Gasset, für den die Masse einfach "subhuman" war.
Nolens volens kommen wir irgendwann ins zwanzigste Jahrhundert, die Zeit des "großen Spektakels": "das Opfer Mensch, bedroht vom Bösen, gerettet von einer göttlichen Person". Aber was über Hitler gesagt wird, ist schwach, vielleicht fiel der Erzählerin zu ihm auch nichts ein. Wenn sie dagegen von "Massenerregungen im Namen mißbrauchter beziehungsweise mißverstandener Religionsfragen" spricht, hat das heute eine Aktualität, von der die Autorin damals noch nichts ahnte. Nun ist das Granteln österreichische Tradition, und im Schmähen des Gegners ist die Merkel gnadenlos. Aber diese beinahe überzüchtete, grelle, mit austriakischen Preziosen gespickte Sprache zeugt doch von tieferer Verzweiflung.
Inge Merkel wurde 1922 in Wien geboren und hat einiges erlebt. Als das Deutsche Reich zum Großdeutschen wurde, unter dem Jubel der Österreicher, war die junge Inge Klauner sechzehn, dann studierte sie Klassische Philologie und Geschichte und machte 1944 ihren Doktor, ein paar Monate vor dem sowjetischen Einmarsch. An der Universität Wien war sie Dozentin bei den Altphilologen, später war sie bis zu ihrer Pension Gymnasiallehrerin für Latein. Sie lebte immer in Wien, sterben wollte sie dort offenbar nicht: Ein Jahr vor ihrem Tod im Januar 2006 ging sie zu ihrer Tochter und den Enkelkindern nach Mexiko, sie wurde 83 Jahre alt. Mit sechzig erst hat sie debütiert, Erfahrung und Bildung eines langen Lebens gehen in ihr Werk ein, sie kannte sich in der Antike und dem christlich-jüdischen Denken aus (die Katholikin war mit einem Juden verheiratet), das sind die Wurzeln Europas, das ist die Basis dieses Ideenromans. Ihren Furor hat sie dabei nicht eingebüßt, sie pflegte ihre jugendliche Wildheit. Jugendlich ist auch ihr Augenmerk auf die Sexualität. Das ist eine Hauptthese: Enterotisierung von was auch immer führt in Krieg und Verderben. Das klingt etwas banal, aber Inge Merkel führt es uns an banalen Beispielen vor: Allein die wörtliche, nichtpoetische Übersetzung der klassischen Sprachen verjage jede Lust, mache uns zu humorlosen Tugendbolden und lauter kleinen Diktatoren.
Bezaubert ist man von diesem Buch nicht, eher überwältigt von der zügellosen Sprache, die "von zartesten Wortbildern und feingedrechselten Perioden zu den saloppesten Wendungen, den krassesten Kraftausdrücken reicht", wie eine begeisterte Hilde Spiel in dieser Zeitung zu Merkels Roman "Die letzte Posaune" anmerkte. Das Zarte und das Krasse, es kann uns, in diesem heftigen Zusammenprall, vielleicht doch verzaubern. Man kennt ja selten den Grund der Unterhaltungen, denen sich die Menschen widmen, sicher haben sie oft mit Manien und Obsessionen zu tun, hier in diesem Buch, das 1990 zuerst erschien und jahrelang vergriffen war, ist es jedenfalls überdeutlich: Im "Großen Spektakel" ist es Inge Merkel bitterernst, und gleichzeitig macht sie sich einen großen Spaß.
PETER URBAN-HALLE
Inge Merkel: "Das große Spektakel". Eine todernste Geschichte, von Windeiern aufgelockert. Roman. Mit einem Nachwort von Ernst-Wilhelm Händler. Manesse Verlag, Zürich/München 2008. 768 S., geb., 24,90 [Euro].
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"Es geht beharrlich und ohne Unterbrechung um die großen Menschheitsfragen. Merkels unnachahmlicher Stil: witzig, originell in der Formulierung, hinterlistig profund, voll überraschender Wendungen. Empfehlenswert." Ruth Klüger, Literarische Welt
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Uninteressant und sprachlich profan findet Rezensent Andreas Dorschel diesen Roman von Inge Merkel und versteht nicht, was er in Manesses "Bibliothek der Weltliteratur" verloren hat. Das Buch handelt von dem Wiener Privatgelehrten Singer, der im texanischen Paragonville eine Geschichte des Abendlandes schreiben soll. Hilfe bekommt er dabei von seiner Wohnungsnachbarin, die für die nötige Auflockerung in Form von Geschichten, den sogenannten "Windeiern", sorgen soll, so erklärt uns Dorschel. Doch auch wenn er den Inhalt für ambitioniert hält, beanstandet er umso mehr die sprachliche Verwirklichung der Autorin und hält ihre Verwendung von Adjektiv und Nomen für eine "Zwangsgemeinschaft eines launigen Common Sense". Für Dorschel definitiv keine Weltliteratur.
© Perlentaucher Medien GmbH
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