Die Ukraine, der zweitgrößte europäische Staat, ist auf unserer literarischen Landkarte nicht einmal in Umrissen vorhanden. Juri Andruchowytsch, der international renommierteste ukrainische Autor, nimmt die begrenzten Kenntnisse seines Publikums in Westeuropa und in den USA ernst und bringt ihm in einer Reihe brillanter Essays diese unbekannte Region nahe. Jeder, der einmal die westliche Staatsgrenze der Ukraine überquert hat, erfährt, daß hier auch zehn Jahre nach der Unabhängigkeit noch immer eine Trennlinie verläuft: »zwischen Europa und etwas anderem«. Erfrischend im Ton, farbig im Detail und voller Ironie beschreibt er die postsowjetische Realität seines Landes: Lemberg und Kiew, Spuren des untergegangenen Galiziens und die Katastrophe von Tschernobyl, den Exodus der Bevölkerung Richtung Westen und die repressive Medienpolitik der Regierung, aber auch die sonderbare Existenz von Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen in einem Land, »aus dem man weggeht«.
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Geradezu berauscht fällt das Lob Michael Jeismanns für diesen Essay-Band des ukrainischen Lyrikers und Romanautors Juri Andruchowytsch aus: Dessen Stil nämlich, befindet der Rezensent, müsste eigentlich unter die "Bestimmungen der bewußtseinserweiternden Drogen" gerechnet werden, so "halluzinogen genau" ist er. Die Methode des Juri Andruchowytsch sei "der Schwindelanfall, ein phantasmagorischer Stil", in dessen Medium Gegenwart und Vergangenheit verschmolzen werden bis zum "glühend heißen Moment einer wahren Anschauung". Dabei könne es, erklärt Jeismann weiter, zwar "durchaus bedächtig und rational zugehen", immer wieder aber würden Andruchowytsch "Durchbrüche" gelingen, also "eine schnelle Wendung hier, eine angetäuschte Richtung dort", und erst nach und nach begreife der Leser, dass hier die Situation des heutigen Europa verhandelt werde. Wenn der Autor etwa "voller Sarkasmus" bemerke dass er zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts kein Visum benötigt hätte, um sich mit Rilke zu treffen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Karpatologie ist "eine besondere Metawissenschaft von der Zukunft", erklärt uns Lothar Müller. Vieles in Juri Andruchowytsch's Essayband werde den hiesigen Lesern erst einmal reichlich fremd vorkommen, meint Müller, doch nach der Lektüre der Essays betrachte man diesen Teil Osteuropas mit neugierigeren Augen. Und da erscheine die Frage gar nicht mehr so abwegig, ob sich entlang der Karpaten tatsächlich die neue Ostgrenze bilden wird, wo ja die Karpaten schon einmal die Grenzlinie zwischen der römisch-westlichen und östlich-byzantinischen Welt dargestellt haben. Juri Andruchowytsch stammt aus Galizien, wo auch Joseph Roth und Paul Celan herkamen, in seiner Jugend war das Gebiet sowjetisch, heute gehört es zur Ukraine. Bei diesem Autor, Jahrgang 1969, nehmen die Landschaften, die Städte dieser Region, die Andruchowytsch wie ein Archäologe der eigenen Jugend absuche, regelrecht wieder physisch Gestalt an, hält Müller fest. Daneben erkunde der Autor eifrig die neuen Grenzen und Grenzziehungen, die Grenzüberschreitungen von Ost nach West, die Abgrenzungen von Ost gegen West, auch da erweist er sich eben als ein echter Karpatologe, schreibt Müller, ein Grenzwissenschaftler und -tüftler der alten und neuen Verhältnisse.
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