Eine kleine Hafenstadt in der Bretagne: Max Le Corre, ein abgehalfterter Boxer, der als Chauffeur des Bürgermeisters Quentin Le Bars arbeitet, legt bei seinem Chef ein gutes Wort für seine Tochter ein. Die 20-jährige Laura ist gerade aus Rennes zurückgekehrt und sucht in ihrer Heimatstadt nun eine
Wohnung und einen Job. Und siehe da: Le Bars lässt seine Beziehungen spielen und besorgt ihr beides…mehrEine kleine Hafenstadt in der Bretagne: Max Le Corre, ein abgehalfterter Boxer, der als Chauffeur des Bürgermeisters Quentin Le Bars arbeitet, legt bei seinem Chef ein gutes Wort für seine Tochter ein. Die 20-jährige Laura ist gerade aus Rennes zurückgekehrt und sucht in ihrer Heimatstadt nun eine Wohnung und einen Job. Und siehe da: Le Bars lässt seine Beziehungen spielen und besorgt ihr beides innerhalb kürzester Zeit - jedoch nicht ohne Hintergedanken, denn ohne gewisse "Gefälligkeiten" macht so ein Provinzbürgermeister schließlich keinen Finger krumm...
"Das Mädchen, das man ruft" ist der neue Roman des französischen Autors Tanguy Viel, der kürzlich im Wagenbach-Verlag erschienen ist. Der Roman mit dem recht sperrigen Titel ist eine Mischung aus Krimi und Sozialdrama und punktet vor allem durch seine originelle Erzählweise. Denn Viel breitet auf gerade einmal 160 Seiten das gesamte Spektrum seines literarischen Könnens nahezu komplett aus und trifft dabei zumeist den richtigen Ton.
Zugegebenermaßen dauert es eine Weile, bis man sich als Leser:in an die vielen Verschachtelungen und an den Bewusstseinsstrom gewöhnt, an die endlos wirkenden Bandwurmsätze, die zum Teil ganz oben auf einer Seite beginnen und sich manchmal bis über die Seitenmitte hinwegziehen, hier einen Schlenker einlegen, um Boxer Max apathisch in einer Autowaschanlage zu beobachten oder sich plötzlich im Casino der Stadt wiederfinden, wo Bürgermeister Quentin Laura gerade besucht, um sich eine der besagten "Gefälligkeiten" abzuholen und dabei nicht aufgehalten wird, weder von Casino-Inhaber Franck, der aber ohnehin ein recht schmieriges Bündnis mit dem Bürgermeister eingegangen ist, so glauben wir es zumindest, wenn wir uns die erste Szene in Erinnerung rufen, noch von Francks Schwester Hélène, von der man sich dann als Leser:in doch noch eine gewisse Unterstützung für Laura erhoffte, aber Pustekuchen.
Mir gelingt es natürlich nicht einmal ansatzweise, so gut zu formulieren, aber der oben stehende Satz könnte zumindest als exemplarisch betrachtet werden. Nach den geschilderten Anpassungsschwierigkeiten fand ich diesen Erzählstil jedenfalls durchaus gelungen, auch wenn Viel es bei seinen Metaphern manchmal übertreibt und nicht jede davon sitzen mag.
Durch den Schreibstil wirkt die eigentliche Handlung jedoch recht aufgebauscht, denn die Geschichte ist relativ simpel zusammenzufassen: Ein junges Mädchen in Not lässt sich sexuell von einem Machtmenschen ausnutzen, ohne direkt dagegen zu protestieren, während ihr naiver Boxer-Vater den Bürgermeister sogar noch zu diesen Treffen karrt. Ein wenig "MeToo in der Bretagne" und thematisch recht gefällig, denn wer mag schon Widerworte dagegen erheben, dass eine solche Geschichte ihre Berechtigung hat, erzählt zu werden?
Dennoch gelingt es dem Autoren über weite Strecken ziemlich gut, trotz der simplen Handlung einen veritablen Spannungsbogen aufzubauen, denn tatsächlich fiel es mir schwer, vorauszusehen, in welche Richtung sich diese Geschichte denn nun entwickeln wird.
Und so ist die größte Schwäche in meinen Augen auch gar nicht die Handlung, sondern es sind die Figuren, die fast schon erschreckend eindimensional geraten sind. Auf der einen Seite der Bürgermeister, ein korrupter Machtmensch aus dem Lager "Old White Man" und sein Lakai Franck, ein Provinzlude im weißen Anzug - auf der anderen Seite Laura, eine Art Fille Fatale, die sich ihrer Reize durchaus bewusst ist, aber nicht in der Lage scheint, gegen den Missbrauch zu protestieren und ihr völlig verblödeter Boxer-Vater, der offenbar nicht erst im letzten Boxkampf seine finalen Hirnzellen geopfert hat. Gerade Boxer Max ist ein echtes Ärgernis, denn selbst Tanguy Viel scheint keine große Empathie für den armen Tropf übrig zu haben. So ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass auch ich keinen Zugang zu den Figuren fand und mir ihr Schicksal größtenteils leider egal blieb.
Insgesamt ist "Das Mädchen, das man ruft" trotz dieser Kritikpunkte ei