Als Journalist Stéphane 2014 in Frankreich ein verfallenes Bauernhaus kauft, ist die Freude zunächst groß. Vor 30 Jahren plante er mit seiner damaligen Freundin, genau diesen Hof zu kaufen, doch das Schicksal wollte es anders. Nun ergreift er seine zweite Chance, doch das "Polenhaus", wie es von den
Einheimischen genannt wird, scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten. Als Stéphane das Dach des…mehrAls Journalist Stéphane 2014 in Frankreich ein verfallenes Bauernhaus kauft, ist die Freude zunächst groß. Vor 30 Jahren plante er mit seiner damaligen Freundin, genau diesen Hof zu kaufen, doch das Schicksal wollte es anders. Nun ergreift er seine zweite Chance, doch das "Polenhaus", wie es von den Einheimischen genannt wird, scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten. Als Stéphane das Dach des Kuhstalls absichern will, trifft ihn der Schlag: In einem Versteck im Boden findet er einen Knochen. Was ist hier wirklich passiert?
"Das Polenhaus" ist der zweite Roman von Gregor Höppner, der im Anthea Verlag erschienen ist. Höppner erzählt darin auf zwei verschiedenen Ebenen. Während sich der Haupstrang um Stéphane und das Jahr 2014 dreht, gibt es immer wieder längere Einschübe, die ziemlich genau ein Jahrhundert davor einsetzen. In diesem zweiten Strang begleiten die Leserinnen die anfangs 20-jährige polnische Landarbeiterin Teresa, die in Frankreich auf die Rückkehr in die Heimat wartet. Doch wir schreiben das Jahr 1914 und der Erste Weltkrieg steht vor der Tür.
Zunächst einmal sollte man sich von dem überflüssigen und sprachlich etwas holprigen Untertitel "Wo das Glück nicht ist" nicht abschrecken lassen. Denn "Das Polenhaus" hat viel mehr zu bieten als seichte Unterhaltung. Vor allem das erste Drittel des Romans ist insbesondere in sprachlicher und atmosphärischer Hinsicht außerordentlich gelungen. Hier zeigt Gregor Höppner all seine schrifstellerischen Facetten. Wenn Stéphane erstmals das Bauernhaus betritt, meint man als Leser dabei zu sein, den Staub zu sehen, die Farben, Geräusche und Gerüche wahrzunehmen. So bildhaft sind diese Beschreibungen, denen gleichzeitig eine große Melancholie innewohnt. Stark auch, wie Höppner das Schicksal des Hauses mit dem seines neuen Besitzers verknüpft. Je weiter die Restaurierungen voranschreiten, desto lebendiger wird auch Stéphane, der sich Stück für Stück aus seiner Midlife-Crisis herauskämpft. Da kann die historische Episode um Teresa sprachlich zwar nicht ganz mithalten, doch auch hier prägen sich unvergessliche Eindrücke ein wie die kindliche Verfolgungsjagd eines Ziegenbocks, der dem Mädchen irgendwann wie der Leibhaftige selbst scheint.
Mit Voranschreiten der Handlung kann "Das Polenhaus" diese Stärke jedoch nicht konsequent bewahren, was verschiedene Gründe hat. Die Dialoge zwischen Stéphane und der sympathischen Frauenfigur Sandrine geraten beispielsweise manchmal ein wenig belanglos, in anderen Fällen zu didaktisch. Hauptkritikpunkt ist aber die unglaubwürdige Figurenentwicklung. Stéphane verhält sich aufgrund des Knochenfunds aus völlig unerklärlichen Gründen manchmal selbst wie ein Verbrecher, indem er diesen fast komplett vertuschen möchte. Erst im Finale des Romans erschließt sich dieses reichlich konstruierte Verhalten. Noch ärgerlicher ist die Wandlung der Teresa, die fast eine Art vom Saulus zum Paulus in umgekehrter Richtung ist. Denn die anfängliche Sympathieträgerin wird irgendwann zu einer ganz und gar schrecklichen Mutter. Von den ganzen Männerfiguren um sie herum ganz zu schweigen.
Und auch wenn das Finale ein wenig konstruiert wirkt, muss man Gregor Höppner konstatieren, dass es ihm über die kompletten gut 250 Seiten gelingt, den Spannungsbogen extrem hoch zu halten. Ständig möchte man als Leser wissen, was es denn nun mit diesem Knochen und dem "Polenhaus" an sich auf sich hat. Und natürlich möchte man auch wissen, ob zumindest eine der beiden Hauptfiguren am Ende ihr Glück findet. Dass das Buch mit einem veritablen Knalleffekt und dem sprachlich beglückenden Kapitel "GOTT" endet, sorgt dafür, dass man es letztlich doch noch zufrieden zuschlägt und nicht so schnell wieder vergisst.
Insgesamt ist "Das Polenhaus" ein gelungener Roman, der teilweise auf historischen Fakten beruhen soll, wie wir es im Nachwort erfahren. Noch stärker wäre er gewesen, wenn Lektorat und Korrektorat etwas sorgfältiger gearbeitet hätten. Denn neben den ein wenig holprigen Charakteren, weist das Buch trotz Verlags leider mehr Tippfehler auf als zahlreiche Veröffentlichungen im Self-Publisher-Bereich.
3,5/5