Der französische Schriftsteller Vercors (1902-1991), eigentlich Jean Bruller, hatte sich vor dem Zweiten Weltkrieg als Grafiker und Buchillustrator einen Namen gemacht. Während der Résistance gründete er die „Editions de Minuit“, den illegalen Verlag der französischen Widerstandsbewegung. Hier
erschien 1942 als erste Veröffentlichung seine Erzählung „Das Schweigen des Meeres“. Später war Vercors…mehrDer französische Schriftsteller Vercors (1902-1991), eigentlich Jean Bruller, hatte sich vor dem Zweiten Weltkrieg als Grafiker und Buchillustrator einen Namen gemacht. Während der Résistance gründete er die „Editions de Minuit“, den illegalen Verlag der französischen Widerstandsbewegung. Hier erschien 1942 als erste Veröffentlichung seine Erzählung „Das Schweigen des Meeres“. Später war Vercors einer der prominentesten kommunistisch orientierten Intellektuellen Frankreichs, distanzierte sich aber nach dem Aufstand in Ungarn 1956 vom Kommunismus.
Die Novelle erzählt die Geschichte des deutschen Wehrmacht-Offiziers Werner von Ebrennac, der während der deutschen Besatzung Frankreichs bei einem alten Mann und seiner Nichte einquartiert ist. Während der charismatische und durchaus sympathische Deutsche von der französischen Kultur schwärmt, schweigen seine französischen Quartiergeber. Onkel und Nichte sprechen kein Wort in seiner Gegenwart.
So hält Werner von Ebrennac lange Monologe über seine Liebe zu Frankreich und die guten Absichten der Deutschen. Eine Verbrüderung der beiden Länder wäre für ihn ein anstrebenswertes Ideal. Doch das „Schweigen des Meeres“ ist der stumme Widerstand gegen das Liebeswerben des deutschen Offiziers.
Bei einem Besuch in Paris, wo er mehrere deutsche Offiziere trifft, muss von Ebrennac jedoch erkennen, dass seine Ideale nur Illusionen sind. Das faschistische Deutschland will die französische Nation und Kultur beherrschen, ja zerstören. Als Demonstration französischen Selbstbewusstseins unter der deutschen Okkupation und als Zeichen der Hoffnung mitten im Krieg hat die Novelle Weltruhm erlangt.
Im Diogenes Verlag ist eine ungekürzte Lesung (2 CDs, 125 Min.) dieser meisterhaften Erzählung erschienen. Dafür konnte der bekannte Schauspieler und Sprecher Hans Korte gewonnen werden. Mit seiner ruhigen und doch ausdrucksstarken Stimme gelingt es ihm, wunderbar und einfühlsam die Spannungen zwischen dem Besatzer und den beiden Quartiergebern und deren Innenleben hörbar zu machen. Dabei kommt ihm zugute, dass die Figur des Onkels die erzählende Person ist.
Komplettiert wird das Diogenes-Hörbuch durch ein Essay von Ludwig Harig „Stimmen aus dem Leib des Fisches“, das von Gert Heidenreich gelesen wird. Zudem bringt das Booklet einen Textauszug aus einem Nachwort von Yves Beigbeder über die Entstehung der Novelle.
Fazit: Ein bemerkenswertes Hörbuch aus drei Gründen: eine spannende und nachdenkliche Geschichte, ein brillanter Sprecher und viele zusätzliche Informationen.
Manfred Orlick