42 Tage lang, im Mai und Juni 1945, war das erzgebirgische Schwarzenberg unbesetztes Gebiet. Die Einwohner, die Flüchtlinge, Ostarbeiter und marodierende Soldaten fanden sich unverhofft im Niemandsland. Niemand war zuständig für sie, wer würde sie versorgen? Es begann eine herrschaftslose Zeit, nämlich ein großes "Durchenanner"; und das hieß für die einen ein banges Warten und für die anderen, wenigeren, ein "unverschämtes Beginnen". Denn wenn man sie vergessen hatte, mußten sie sich auf sich selbst besinnen. Das ist eine Geschichte wie aus Hebels Kalender, und keine Person, keine Handlung ist erfunden, sie will ihre Kraft, ihre Rührung aus dem Wirklichen ziehen. - Ein Anhang enthält Erkundungen, Grabungen im schwarzen Berg; und wieder spricht das Massiv: Seht, wie ihr weiterkommt. Vor Ort, im Dunkeln, bewährt sich der Satz des Autors: "Jetzt bin ich in der Geschichte, und eine andere Frage stellt sie nicht, auch wenn sie vorbei ist; vorbei und verloren ist, und man sieht nun, was wahr war und was nicht war. Denn es ist jetzt mein eignes Gebiet, das unbesetzt ist, von den Truppen der Doktrin und des Glaubens, und nur Hoffnung vielleicht siedelt, die uns betrügt und weiterträgt."
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Geschichte, die nicht zu Ende geschrieben wurde: Der Kreis Schwarzenberg im Erzgebirge blieb 1945 von allen Alliierten unbesetzt und verwaltete sich 42 Tage lang selbst, unter Führung von Antifaschisten. Dann, so Harald Hartung, kam die Rote Armee und man erfuhr nie, ob da kurz so was wie eine Utopie in Erfüllung gegangen war. Nur die Literatur kann noch was draus machen. Bei Volker Braun sind es Erzählungen, die den Fall aneignen, reduzieren: einmal zum "epischen Gedankenspiel", danach zur Kalendergeschichte a la Hebel, damit wenigstens die Geschichte erhalten bleibt, wenn schon politisch nicht viel herauszuholen sei. Das reicht schon, staunt Hartung, Braun brauche nur die diese kleine "Restmenge Hoffnung" für eine Erzählung, in der die Hoffnung freilich wiederum der Skepsis begegne.
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