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Es ist das Jahr 1981, als sich Nori Laezius, Historikerin und Frau eines Bonner Regierungsbeamten, in ihre Geburtsstadt Kolberg, jetzt Kolobrzeg genannt, aufmacht. Über ihren Kinderjahren liegt das Dunkel des Vergessens, und sie hofft, dass vielleicht in der alten Heimat die Erinnerung wiederkommt. In Kolberg lernt sie den polnischen Intellektuellen Adam kennen und lieben, doch die überwältigende Erfahrung dieser Liebe wirft Nori aus der Bahn. Voller Angst flieht sie nach Bonn zu ihrem Mann, doch dessen Interesse gilt nur noch der Politik und kostbaren Weinen. Nori begreift, dass sie für ihre Liebe kämpfen muss.…mehr

Produktbeschreibung
Es ist das Jahr 1981, als sich Nori Laezius, Historikerin und Frau eines Bonner Regierungsbeamten, in ihre Geburtsstadt Kolberg, jetzt Kolobrzeg genannt, aufmacht. Über ihren Kinderjahren liegt das Dunkel des Vergessens, und sie hofft, dass vielleicht in der alten Heimat die Erinnerung wiederkommt. In Kolberg lernt sie den polnischen Intellektuellen Adam kennen und lieben, doch die überwältigende Erfahrung dieser Liebe wirft Nori aus der Bahn. Voller Angst flieht sie nach Bonn zu ihrem Mann, doch dessen Interesse gilt nur noch der Politik und kostbaren Weinen. Nori begreift, dass sie für ihre Liebe kämpfen muss.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2001

Flucht aus dem Weinkeller
Marielouise Janssen-Jurreit rettet die Liebe vor der Geschichte

Seit es erzählende Kunst gibt, sind darin Verbrechen und Liebe verknüpft worden, so auch in dem vorliegenden Roman von Marielouise Janssen-Jurreit. Das wäre keiner besonderen Rede wert, würde nicht der Titel die Begriffsverbindung ganz anders interpretieren als üblich. Er signalisiert nämlich, daß es hier nicht um Verbrechen aus Liebe geht oder um den Sieg der Liebe über das Verbrechen oder um den Triumph des Verbrechens über die Liebe. Vielmehr ist hier das Gefühl selbst die Untat. Vor den mörderischen Ereignissen des zwanzigsten Jahrhunderts wird privates Glück zum Unrecht, weil es vom gebotenen Widerstand ablenkt. Ohnehin sind in Schreckenszeiten die Seelen der Menschenverkrüppelt, daher unfähig, unbefangen zu empfinden.

Einen Seelenschaden haben alle, die uns im Verlauf der Handlung vorgeführt werden, voran die Heldin, genannt Nori. Sie stammt aus vielseitigen Verhältnissen. Einige familiäre Wurzeln reichen zurück ins deutsche Viertel des alten St. Petersburg und in die einstigen deutschen Ostgebiete. In der vertriebenen, enteigneten Sippschaft gab es peinliche rechtslastige Verstrickungen. Die Nachfahrin, 1943 in Kolberg geboren, weiß zu Beginn ihres Rückblicks davon nur wenig, was aber keineswegs aus der Gnade ihrer späten Geburt resultiert. Vielmehr leidet Nori an einer Amnesie, verursacht durch ihre Erzieher. Die Mutter ließ Mann und Kind im Stich, verzog sich mit ihrem begüterten amerikanischen Lover nach Übersee und kehrte erst zehn Jahre später als wohlhabende Witwe zurück. Der mittellose Vater und das Töchterchen krochen bei einem bildhauernden Onkel unter, dessen schöpferisches Credo die Einheit von Künstler und Soldat gewesen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg lockte das keinen Hund hinter dem Ofen hervor, so hängte der Onkel sich auf und ließ das Kind dabei zuschauen. Der Vater steckte die nunmehr unbeaufsichtigte Siebenjährige ins allerbilligste Internat, wo bigotte Nonnen ihr die Seele verbogen. Vor all diesen Erinnerungen schützte die erwachsene Nori sich durch absolute Verdrängung.

Dies freilich um den Preis von Albträumen und Angstattacken, gegen die auch Ehemann Leonhard nichts ausrichten kann. Der friedliche Leonhard kommt bei der Romanautorin schlecht weg. Sie hat ihn zum Beamten im Bonner Bundespresseamt gemacht, in ihren Augen offenbar das Letzte an Langeweile und Gefühlsstumpfheit. Jedenfalls gerät nur dann Leben in ihn, wenn es um seine riesige Sammlung erlesener Weine geht. Es liegt auf der Hand, daß die sensible Nori eines Tages ausbrechen und fremdgehen wird. Das Schicksal muß ihr nur den Richtigen über den Weg schicken.

Das geschieht Anfang der achtziger Jahre. Der Richtige heißt Adam, ist Pole und Anhänger von Solidarnosc, in seiner Heimat schickt sich General Jaruzelski gerade an, das Kriegsrecht auszurufen. Adams feuriger Patriotismus elektrisiert die Bonner Beamtengattin, doch die erotische Bindung funktioniert nicht nach Wunsch, da kann auch Noris Psychotherapeut nicht helfen. Adam geht sowieso zu keinem Seelendoktor, obwohl er ihn nötig hätte, denn auch Mitglieder seiner Familie sind politisch befleckt, diesmal linkslastig, was ihm sehr aufs Selbstverständnis drückt. Der bekennende Antikommunist wird schließlich von der Jaruzelski-Polizei zum körperlichen wie geistigen Krüppel geprügelt. Aus für alle Hoffnung und jede Liebe, dem bösen Jahrhundert ist mit derlei Regungen nicht beizukommen.

Quod erat demonstrandum, sollte man meinen, wenn man des Titels gedenkt. Aber nun zeigt sich, daß die Autorin eigentlich darauf zielte, ihn zu widerlegen. Am Ende stellt sie ihre Geschichte vom Kopf auf die Füße. Oder von den Füßen auf den Kopf. Offen bleibt, ob sie ihrem Roman, dessen historische und persönliche Logik der Psycholast bisher standhielt, damit einen Gefallen tat. Hatte sie zuvor die gefühltötenden Schrecken riesig gemalt, so wachsen jetzt die Gefühle ihrer Figuren ins Riesige. Nori gebiert einen kleinen Adam und weiß ganz sicher, daß sie den großen Adam ewig lieben wird, ungeachtet seines schlimmen Zustands, sogar dann, wenn er stirbt. Das Baby veredelt die Großeltern, endlich reden die Generationen miteinander und erledigen ihre privaten wie politischen Differenzen. Obendrein beschert das Jahrhundertende den Europäern einige der Werte, für die Deutsche, Polen, Ungarn et cetera im Kampf gegen zwei Diktaturen bluteten. Die Moral von der Geschicht: Zur Millenniumswende existiert zwar nicht die beste aller Welten, aber gegen alle Erwartungen eine lebenswerte. Es darf auch wieder geliebt werden.

SABINE BRANDT

Marielouise Janssen-Jurreit: "Das Verbrechen der Liebe in der Mitte Europas". Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2000. 317 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So richtig deutlich fällt Sabine Brandt kein Urteil über Marielouise Janssen-Jurreits Roman. Darin haben alle einen Seelenschaden, verursacht aus persönlichen und politischen Umständen, berichtet die Rezensentin. Liebe kann bei Janssen-Jurreits Figuren so gar nicht gedeihen. Auch wenn sie da ist, kann sie sich nicht entwickeln - die Verhältnisse sind schuld und halten die Gefühle in ihrem Bann, informiert Brandt. Doch die Autorin will es am Ende anders und lässt die großen Gefühle doch noch aufleben. Ob sie damit ihrer Geschichte, deren historische und persönliche Logik bis dahin der Psycholast standgehalten habe, einen Gefallen erwiesen hat, lässt die Rezensentin offen. Die Moral des Romans - "es darf auch wieder geliebt werden - scheint Brandt jedenfalls nicht wirklich groß bewegt zu haben.

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