In seinem Heimatland Frankreich wird Vladimir Jankelevitch heute als einer der zentralen Philosophen des 20. Jahrhunderts angesehen. Das war nicht immer so.
Unwillig, um die Gunst der öffentlichen Meinung zu buhlen, galt der Nachfahr jüdisch-russischer Einwanderer lange Zeit als Solitär, als "heimatloser Philosoph".
Aus seiner Prägung durch Henri Bergson hat Jankelevitch nie ein Hehl gemacht. Vor allem seine Sprache verrät die Spur dieser Herkunft: Kühne Wortbildungen und ein von fließen Perioden getragener, durch jähe Abbrüche interpunktierter Stil bestimmen den Gestus eines Denkens, das ein permanenter Neubeginn sein will, Denken in Bewegung.
Jankelevitch war ein Denker des Engagements, und nichts hat nachhaltiger seine Themenwahl bestimmt als die Jahre in der Resistance. Er hat über den Tod geschrieben, über die Liebe, über die Lüge - am eindringlichsten aber über das Verzeihen. Die Vernichtung der Juden war für Jankelevitch ein Kulturbruch, der die Grenzen des Verzeihens definitv überschritt.
So hat er, der einst über Schelling promoviert hatte, sich nach dem Krieg jede Verbindung nach Deutschland untersagt. Er blieb unversöhnt - bis zu seinem Tod im Jahr 1985.
Anläßlich seines hundertsten Geburtstages präsentiert die vorliegende Auswahl das Denken eines philosophischen Schriftstellers, der unbequem ist, ja fordernd, und der seine weitgespannten Themen ungemein pack darzulegen versteht.
Für deutsche Leser ist Jankelevitch Entdeckung und Herausforderung zugleich.
Unwillig, um die Gunst der öffentlichen Meinung zu buhlen, galt der Nachfahr jüdisch-russischer Einwanderer lange Zeit als Solitär, als "heimatloser Philosoph".
Aus seiner Prägung durch Henri Bergson hat Jankelevitch nie ein Hehl gemacht. Vor allem seine Sprache verrät die Spur dieser Herkunft: Kühne Wortbildungen und ein von fließen Perioden getragener, durch jähe Abbrüche interpunktierter Stil bestimmen den Gestus eines Denkens, das ein permanenter Neubeginn sein will, Denken in Bewegung.
Jankelevitch war ein Denker des Engagements, und nichts hat nachhaltiger seine Themenwahl bestimmt als die Jahre in der Resistance. Er hat über den Tod geschrieben, über die Liebe, über die Lüge - am eindringlichsten aber über das Verzeihen. Die Vernichtung der Juden war für Jankelevitch ein Kulturbruch, der die Grenzen des Verzeihens definitv überschritt.
So hat er, der einst über Schelling promoviert hatte, sich nach dem Krieg jede Verbindung nach Deutschland untersagt. Er blieb unversöhnt - bis zu seinem Tod im Jahr 1985.
Anläßlich seines hundertsten Geburtstages präsentiert die vorliegende Auswahl das Denken eines philosophischen Schriftstellers, der unbequem ist, ja fordernd, und der seine weitgespannten Themen ungemein pack darzulegen versteht.
Für deutsche Leser ist Jankelevitch Entdeckung und Herausforderung zugleich.
literaturtest.de
Kein Pardon
Vladimir Jankélévitch ist Franzose, ein Philosoph. Er starb 1985. Sein Werk war zu Lebzeiten des Autors recht bekannt. Auch heute sind seine Bücher in Frankreich lieferbar. Mit der deutschen Edition hat nun der Suhrkamp Verlag den mutigen Versuch gewagt, Jankélévitch auch hierzulande einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Warum sich der Frankfurter Verlag entschlossen hat, diesem Band den Titel Das Verzeihen zu geben, bleibt aber ein kleines Rätsel. Die Moral und das Verzeihen sind zwar die großen Themen des Autors. Sein Essay "Pardonnay?" ist aber mit einem Fragezeichen versehen. Und die Antwort lautet: Nein, es darf kein Pardon geben.
Agonie bis ans Ende aller Tage
Jankélévitch lehnt kategorisch eine Vergebung für die Verbrechen der Deutschen an den Juden und anderen Völkern ab. Ein Vergessen ist für ihn undenkbar. "Es ist das Sein des Menschen selbst, ESSE, das der rassistische Genozid im schmerzenden Fleisch dieser Millionen von Märtyrern zu vernichten versuchte". Die Unnachgiebigkeit, die Schärfe und auch das Provozierende, die aus Jankélévitchs Worten sprechen, verstören und rütteln auf. "Wir werden nachdrücklich an die Agonie der Deportierten ohne Bestattung und an die kleinen Kinder denken, die nicht zurückgekehrt sind. Denn diese Agonie wird dauern bis ans Ende aller Tage". Mahnung, nicht zu vergessen
Dieses Buch könnte Anlass sein, an einen Teil der Geschichte neu zu erinnern, der mit der Jahrhundertwende begraben schien. Fraglich bleibt, ob die im Vorwort von Jürg Altwegg formulierte These stimmt, dass die Jahre seit Jankélévitchs Tod in Sachen Aufarbeitung besser genutzt wurden. Das Verzeihen jedenfalls mahnt dazu, nicht zu vergessen. Und es bietet die Gelegenheit, in weiteren Essays, so Der Lebensphilosoph Georg Simmel, Von der Lüge oder Austerität und Dekadenz, einen in Deutschland weithin unbekannten wortmächtigen Denker kennen zu lernen.
(Carsten Hansen)
Kein Pardon
Vladimir Jankélévitch ist Franzose, ein Philosoph. Er starb 1985. Sein Werk war zu Lebzeiten des Autors recht bekannt. Auch heute sind seine Bücher in Frankreich lieferbar. Mit der deutschen Edition hat nun der Suhrkamp Verlag den mutigen Versuch gewagt, Jankélévitch auch hierzulande einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Warum sich der Frankfurter Verlag entschlossen hat, diesem Band den Titel Das Verzeihen zu geben, bleibt aber ein kleines Rätsel. Die Moral und das Verzeihen sind zwar die großen Themen des Autors. Sein Essay "Pardonnay?" ist aber mit einem Fragezeichen versehen. Und die Antwort lautet: Nein, es darf kein Pardon geben.
Agonie bis ans Ende aller Tage
Jankélévitch lehnt kategorisch eine Vergebung für die Verbrechen der Deutschen an den Juden und anderen Völkern ab. Ein Vergessen ist für ihn undenkbar. "Es ist das Sein des Menschen selbst, ESSE, das der rassistische Genozid im schmerzenden Fleisch dieser Millionen von Märtyrern zu vernichten versuchte". Die Unnachgiebigkeit, die Schärfe und auch das Provozierende, die aus Jankélévitchs Worten sprechen, verstören und rütteln auf. "Wir werden nachdrücklich an die Agonie der Deportierten ohne Bestattung und an die kleinen Kinder denken, die nicht zurückgekehrt sind. Denn diese Agonie wird dauern bis ans Ende aller Tage". Mahnung, nicht zu vergessen
Dieses Buch könnte Anlass sein, an einen Teil der Geschichte neu zu erinnern, der mit der Jahrhundertwende begraben schien. Fraglich bleibt, ob die im Vorwort von Jürg Altwegg formulierte These stimmt, dass die Jahre seit Jankélévitchs Tod in Sachen Aufarbeitung besser genutzt wurden. Das Verzeihen jedenfalls mahnt dazu, nicht zu vergessen. Und es bietet die Gelegenheit, in weiteren Essays, so Der Lebensphilosoph Georg Simmel, Von der Lüge oder Austerität und Dekadenz, einen in Deutschland weithin unbekannten wortmächtigen Denker kennen zu lernen.
(Carsten Hansen)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Der Gedanke einer Verständigung oder gar Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich beziehungsweise Israel war ihm unerträglich, berichtet Rezensent Henning Ritter. Die Rede ist von dem französischen Philosophen Vladimir Jankelevitch (1903-1985), der hierzulande weithin unbekannt ist, was der nun erschienene, von Ralf Konersmann herausgegebene, mit "penibler Sorgfalt" ins Deutsche übertragene Band "Das Verzeihen. Essays zur Moral und Kulturphilosophie" ändern möchte. Kein anderer hat nach Darstellung Ritters aus der These von der Singularität Auschwitz' so radikale und persönliche Konsequenzen gezogen wie Jankelevitch: Der Philosoph jüdisch-russischer Herkunft, dessen frühe Veröffentlichungen von deutscher Philosophie und Musik erfüllt waren, und der mit der deutschen Philosophie vertraut war wie wenige in Frankreich, zitierte keine deutschen Philosophen mehr und hörte nicht mehr Schubert, weil dessen Musik in Auschwitz gespielt worden war. Jankelevitchs große Klage über das Vergessen lädt denn auch nicht dazu ein, ihm zu widersprechen, findet Ritter. "Denn jedes Bedenken, jeder Einspruch", hält Ritter fest, "würde sich unversehens in ein Argument für den Negationismus, in die Leugnung von Auschwitz verwandeln."
© Perlentaucher Medien GmbH"
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