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Zu den über Hunderttausenden nach Transnistrien verschleppten rumänischen Juden gehörte auch der Elektroingenieur und ehemalige Siemens-Direktor Siegfried Jägendorf. Mit Schlips und Nadelstreifenanzug kam er ins Konzentrationslager und schaffte es, auch hier von der deutschen Kommandatur sowie den rumänischen Behörden als »Herr Direktor« angesprochen zu werden. Als der Lagerkommandant (der wie Jägendorf im Ersten Weltkrieg österreichischer Offizier gewesen war) schimpfte, nicht einmal elektrisches Licht gäbe es im kriegszerstörten Moghilev, antwortete der Gefangene Jägendorf, das könne er…mehr

Produktbeschreibung
Zu den über Hunderttausenden nach Transnistrien verschleppten rumänischen Juden gehörte auch der Elektroingenieur und ehemalige Siemens-Direktor Siegfried Jägendorf. Mit Schlips und Nadelstreifenanzug kam er ins Konzentrationslager und schaffte es, auch hier von der deutschen Kommandatur sowie den rumänischen Behörden als »Herr Direktor« angesprochen zu werden. Als der Lagerkommandant (der wie Jägendorf im Ersten Weltkrieg österreichischer Offizier gewesen war) schimpfte, nicht einmal elektrisches Licht gäbe es im kriegszerstörten Moghilev, antwortete der Gefangene Jägendorf, das könne er ändern
Dokumente in der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem belegen, daß im Ghetto von Moghilev über zehntausend Juden durch die von Jägendorf gegründete und geleitete Fabrik vor der Vernichtung bewahrt wurden. Im Unterschied zu anderen Rettern wie Raul Wallenberg in Budapest oder Oskar Schindler in Krakau war Siegfried Jägendorf selbst Jude, ein Deportierter und den Mördern ausgelieferter Häftling, dessen gefährlicher Balanceakt zwischen Anpassung und Widerstand nur auf der eigenen Persönlichkeit und den eigenen Fähigkeiten basierte.
»Viel zu wenig sind das Schicksal und die Schrecknisse der nach Transnistrien Verbannten bekannt. Grausamkeit und Verzweiflung, aber auch Beweise von Mut und Widerstand kennzeichnen die Tragödie dieser verschleppten Juden. Und es gab das Wunder von Moghilev.«
Elie Wiesel, aus Rumänien stammender Friedensnobelpreisträger
Autorenporträt
Schmiel Jägendorf (nach dem Studium nannte er sich Siegfried) wurde 1885 in der Bukowina der Habsburger Monarchie geboren. Er studierte Elektrotechnik in Mittweida bei Dresden, war in Czernowitz Direktor der Siemensniederlassung und gründete später in Wien eine Fabrik. Das mondäne Leben zwischen Wien und Budapest war ihm vertraut. 1938 entkam er in Wien der Gestapo, flüchtete nach Rumänien und leitete, zurück in Czernowitz, eine eigene Firma, bevor er dann 1941 deportiert wurde.1946 konnte er mit seiner Frau in die USA ausreisen, wohin seine beiden Töchter schon 1938 von Wien aus entkommen waren. Hier starb er 1970 und hinterließ ein Manuskript, das erst später entdeckt und 1991 in New York erstmals veröffentlicht wurde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2010

Überleben in der Stadt
Ein Bericht über den rumänischen Holocaust

Siegfried Jägendorfs Aufzeichnungen erinnern an einen wenig bekannten - und dort, wo er geschah, bislang verdrängten - Teil des Holocaust. Jägendorf, der 1970 in den Vereinigten Staaten starb, hatte den Holocoust in Transnistrien überlebt, einem Teil der Ukraine, der von den mit Hitler verbündeten Rumänen besetzt worden war. Obgleich selber Jude und wie alle anderen in einem Viehtransportwagen in die Deportation geschickt, gelang es dem Autor, sich selbst und zehntausend Juden vor dem sicheren Vernichtungstod zu retten.

Jägendorf schrieb, nachdem er sich in Kalifornien noch einmal eine Existenz aufgebaut hatte, seine Version der Ereignisse in der transnistrischen Stadt Moghilev-Podolsk in den Jahren 1941 bis 1944 auf und stellte den Text zusammen mit seinem umfassenden Archiv aus jener Zeit Yad Vashem zur Verfügung. Die Holocaust-Gedenkstätte wollte das Buch publizieren, behielt sich aber eine Prüfung des Inhalts und eine mögliche Bearbeitung vor. Jägendorf war mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, und das Manuskript blieb unveröffentlicht.

Fünfzehn Jahre nach seinem Tod bot Jägendorfs Enkel das Manuskript einem amerikanischen Verlag an, der es sofort annahm und den Historiker Aron Hirt-Manheimer beauftragte, es kommentiert herauszugeben. Nachdem Hirt-Manheimer mehrere Jahre damit verbracht hatte, Originaldokumente aus den Kriegsjahren zu suchen, diese zu übersetzen und mit Überlebenden zu sprechen, erschien der Text schließlich 1991 unter dem Titel "Jagendorf's Foundry". Dass er jetzt auch endlich auf Deutsch zu lesen ist, ist vor allem dem deutsch-rumänischen Schriftsteller Frieder Schuller und der Übersetzerin Ulrike Döpfer zu verdanken. Der deutsche Titel ist ein Zitat Matatias Carps, des wichtigsten Chronisten der Judenvernichtung in Rumänien.

Jägendorf, 1885 in der Bukowina auf dem Gebiet des damaligen Habsburgerreiches geboren, im sächsischen Mittweida zum Techniker ausgebildet, im Ersten Weltkrieg Offizier in österreichisch-ungarischer Uniform, später Ingenieur und erfolgreicher "Manager" bei Siemens, beschreibt darin, wie er mit seiner Frau und Tausenden anderen Juden aus der Bukowina deportiert wurde. Dort überredete er den rumänischen Präfekten, ebenfalls ein ehemaliger Offizier der kaiserlich-habsburgischen Armee, in der zerstörten Stadt Industrieanlagen mit Hilfe von Juden wieder aufzubauen. Deren einziger Lohn war es, in der Stadt bleiben und weiterleben zu dürfen, während Geld aus den verschiedensten Quellen in die Taschen derer floss, die Herren über Leben und Tod waren.

Die gut zweihundert Seiten zeichnen durch einfache Beschreibung ein komplexes Bild der Psychologien auf Seiten von Opfern, Tätern und auch jener, die weder das eine noch das andere - oder beides - waren: alle Schattierungen von Opportunismus über Gaunertum bis hin zur Opferbereitschaft für andere.

RICHARD FRIEBE

Siegfried Jägendorf: "Das Wunder von Moghilev". Die Rettung von zehntausend Juden vor dem rumänischen Holocaust. Herausgegeben und kommentiert von Aron Hirt-Manheimer. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Döpfer. Transit Buchverlag, Berlin 2009. 220 S., Abb., geb., 18,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Tief beeindruckt ist Rezensent Ernest Wichner von Siegfried Jägendorfs Bericht seines "Coups" der Rettung von Zehntausend nach Moghilev deportierter Juden vor der Ermordung, indem er sie - selbst aus Czernowitz deportiert - als Arbeiter für eine von ihm wieder aufgebaute Fabrik und einem Elektrizitätswerk von den Nazis forderte. Dem Rezensent imponieren nicht nur das beherzte und kluge Eingreifen und das Organisationstalent des Autors, der nach dem Krieg in die USA emigrierte, wo seine Erinnerungen erst 1991 erschienen. Gleichzeitig ist er fasziniert von der schillernden und durchaus "draufgängerischen" Persönlichkeit Jägendorfs und es drängen sich ihm Vergleiche mit Oskar Schindler auf. "Höchst aufschlussreich" findet Wichner auch den Kommentar von Aron Hirt-Manheimer, der den historischen Kontext zu Jägendorfs Erinnerungen liefert. Und so empfiehlt Wichner, Chef des Literaturhauses Berlin, nachdrücklich, dieses Buch auf die diesjährige "Leseliste" zu setzten.

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