Produktdetails
- Verlag: Universitas Verlag
- Seitenzahl: 464
- Deutsch
- Abmessung: 3235mm
- Gewicht: 842g
- ISBN-13: 9783800413461
- Artikelnr.: 26170219
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Ein überflüssiges Buch über Entwicklungshilfe
Werner G. Keweloh: Dauertropf Entwicklungshilfe. Vertan? Vergeudet? Vergebens? Erfahrungen eines Insiders. Universitas Verlag, München 1997. 464 Seiten, 39,90 Mark.
Gegen Alleswisser ist schwer anzukommen, weil sie eben immer schon alles gewußt haben, besser als alle anderen. Einen solchen Fall haben wir hier vor uns. Selbst eine Reihe verlorener Prozesse hat den Autor nicht davon abhalten können, "unbekümmert von Anfeindungen", wie es im Werbetext des Verlages für sein Buch heißt, gegen seine früheren Arbeitgeber zu Felde zu ziehen, denen er vorwirft, sich an den Mitleidsgaben von Spendern zu bereichern, und die Meinung zu vertreten, "daß die Entwicklungshilfe in der gegenwärtigen Form die Eigeninitiative lähmt und zu einer gigantischen Korruption führt".
Über diese These ließe sich diskutieren, nur nicht in der Form, in der das bei Keweloh geschieht. Es gibt Leute, die bekommen überall Streit, wohin es sie auch verschlägt. Zu dieser Kategorie scheint Keweloh zu gehören. Selbst Leser, die schon immer davon überzeugt waren, daß Entwicklungshilfe für die Dritte Welt in ein Faß ohne Boden falle, und die nach immer neuen Bestätigungen ihres Vorurteils suchen, werden bei der Lektüre dieses Buches womöglich Zweifel bekommen, ob der Verfasser wirklich als ein Bundesgenosse taugen kann. Wer seinem "Unmut über den Mythos des organisierten Mitleids" so polemisch Luft macht wie Keweloh, der läuft Gefahr, daß seine Übertreibungen am Ende kontraproduktiv wirken.
Daß die entwicklungspolitische Zusammenarbeit eine schwierige Aufgabe sein würde, wußte man von Anfang an. Ebenso klar war, daß es Rück- und Fehlschläge geben, daß die Wirkung von Hilfe bei den Partnern, aufs Ganze gesehen, bescheiden sein würde. Um das zu erkennen, brauchte es nicht die "Erfahrungen eines Insiders", der in Wahrheit bei seiner Tätigkeit als Berater in der Erwachsenenbildung in Afrika gar keine außergewöhnlichen "Insider"-Kenntnisse erwerben konnte, sondern nur als einer von vielen tausend anderen Entwicklungshilfeexperten draußen einige Erfahrungen sammelte, die er nun auf ziemlich anfechtbare Weise verallgemeinert.
Einer von Kewelohs Hauptanklagepunkten ist, daß es zuwenig "Praktiker" in der Entwicklungszusammenarbeit gebe und daß nicht genug auf ihre Ratschläge gehört werde. Aber wie wird man denn Praktiker? Er selbst war, als er nach Afrika ging, zunächst auch einer von denen, die er unablässig und abschätzig als "Greenhorns" bezeichnet, und noch lange kein "Praktiker". Vermutlich ist er bis heute auch nur auf einem bestimmten, eng begrenzten Feld "Praktiker". Tatsächlich gibt es auf zahlreichen Fachgebieten eine Menge tüchtiger Praktiker, die als Projektleiter oder Berater in den Ländern der Dritten Welt gute Arbeit leisten und deren Meinung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie in der für die technische Hilfe zuständigen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) selbstverständlich Gehör findet. Dort sind auch keineswegs nur Theoretiker und Nichtskönner am Werk, mag Keweloh auch noch so oft den gegenteiligen Eindruck zu erwecken versuchen. Selbst die besten Praktiker können sich im übrigen verrennen oder irren und bedürfen mithin gelegentlich der Lenkung von zentraler Stelle, wofür nicht zuletzt manche Äußerung des "Insiders" Keweloh spricht. Vollends fragwürdig ist die Methode Kewelohs, aus seinen überwiegend afrikanischen Erfahrungen Schlußfolgerungen für die deutsche entwicklungspolitische Zusammenarbeit insgesamt zu ziehen. Afrika ist nun einmal ein Sonderfall. Dort ist die Arbeit für Entwicklungshelfer besonders schwierig, dort gibt es daher die meisten Rückschläge. In anderen Erdteilen sieht es wesentlich anders aus. Und auch innerhalb des Schwarzen Kontinents sind die Verhältnisse so unterschiedlich, daß sich Generalisierungen verbieten. Doch Keweloh, der in seinem Buch dafür plädiert, daß "ethnologische Erkenntnisse" in der Entwicklungshilfe stärker als bisher berücksichtigt werden, wofür in der Tat einiges spricht, zeigt dann häufig selbst Mangel an "kulturellem Fingerspitzengefühl", wenn er außer acht läßt, daß für Ostafrika nicht gelten muß, was für West- oder Südafrika "ethnologische Erkenntnis" ist.
Bisweilen hat man zudem den Verdacht, daß Kewelohs "ethnologische Erkenntnis" hauptsächlich darin besteht, daß Afrikaner anders sind als Europäer. Das war allerdings hierzulande auch vorher schon bekannt und wurde entsprechend berücksichtigt. Und noch ein Einwand gegen Kewelohs Generalabrechnung mit seinen früheren Arbeitgebern: Vieles von dem, was der Verfasser in den nach Ansicht des Verlages "turbulenten, oft makabren, manchmal aber auch humorvollen, selbst erlebten Kapiteln" schildert, stammt aus den sechziger und siebziger Jahren. Seitdem sind zwanzig Jahre vergangen. Die Entwicklungszusammenarbeit von heute hat mit der von damals nicht mehr viel zu tun, die Zeiten haben sich geändert, die Methoden mit ihnen. Daher ist Kewelohs Behauptung mehr als zweifelhaft, mit seinem Buch habe er "das schöne, doch falsche Bild von der Entwicklungshilfe, das sich der Öffentlichkeit in Tausenden von Tabellen präsentiert, welche offizielle und inoffizielle Stellen für sie erarbeitet haben, durch ein die nackte Wirklichkeit abbildendes, unbestechliches Foto" ersetzt.
Die Wirklichkeit der Entwicklungszusammenarbeit der neunziger Jahre ist nicht in einem einzigen Foto darzustellen, schon gar nicht in einem "unbestechlichen", was immer das heißen mag. So vielfältig, wie die Projekte und Beiträge der deutschen Entwicklungshilfe sind, so unterschiedlich sind auch ihre Ergebnisse, und so unterschiedlich fallen die Urteile über dieses Ressort aus. Keweloh will das nicht wahrhaben, obwohl er zugibt, in Afrika "auch viele gute Projekte" kennengelernt zu haben. Statt dessen erklärt er in seiner undifferenzierten, rechthaberischen Art die deutsche Entwicklungshilfe pauschal für gescheitert. Die drei Fragen im Untertitel seines Buches sind, man ahnte es schon vor Beginn der Lektüre, rhetorische Fragen. So darf sich der Autor nun nicht wundern, wenn diejenigen, die über mehr Einsicht und Überblick verfügen als er, wenig Bereitschaft zeigen werden, sich mit seinem Buch ernsthaft auseinanderzusetzen. KLAUS NATORP
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