Die industrielle Revolution hat keinen Stein auf dem anderen gelassen. Sie hat alle »altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen« aufgelöst, alles »Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige« entweiht, konstatieren Marx und Engels im »Kommunistischen Manifest«. Die Protagonisten dieser Umwälzung sind die Bürger, die Kaufleute und Industriekapitäne. Die Figur des Bourgeois hat nicht nur Max Weber, Werner Sombart und Joseph Schumpeter fasziniert, sie spielt auch eine Hauptrolle in den großen Werken der Weltliteratur: bei Defoe und Goethe, Balzac und Dickens, bei Thomas Mann und Henrik Ibsen.Franco Moretti rekonstruiert die Mentalität dieser Ära durch das Fenster Literatur: Warum hört Robinson Crusoe auch dann nicht auf zu arbeiten, als sein Überleben auf der paradiesischen Insel längst gesichert ist? Was verraten Ton, Schlüsselwörter und Grammatik der großen Romane des 19. Jahrhunderts über den Geist des Kapitalismus? Und was haben uns die Stücke Ibsens heute, das heißt in unseren postbürgerlichen Zeiten, noch zu sagen, in denen die Wachstumsideologie ebenso hinterfragt wird wie die Integrität von Bankern, Beratern und Analysten?
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit seinem Essay über den Bourgeois in der Literatur lässt Franco Moretti durchaus Wünsche bei Rezensentin Lea Haller offen, vor allem, weil sie seine "begnadeten Exegesen" gern noch ins 20. Jahrhundert ausgedehnt gesehen hätte. Denn was Moretti über die Bourgois im 18. und 19. Jahrhundert zu sagen hat, findet sie erhellend. Der italienische Literaturwissenschaftlicher befasst sich mit dem Stil bürgerliche Prosa, und laut Haller erkennt er für das frühe 18. Jahrhundert, etwa bei Daniel Defoe, dass Finalsätze und "ein Staccato der Effizienz und Nüchternheit" dominieren und das Tagespensum zweckrational abgearbeitet wird. Im viktorianischen Roman ab Mitte des 19. Jahrhunderts herrschen dann, so Haller, Moralisierung, neugotische Verzierungen und die Verschleierung von Tatsachen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Schon lange habe ich kein Sachbuch mit dem gleichen intellektuellen Vergnügen und mit demselben literarischen Genuss gelesen wie Franco Morettis Suche, Aufdeckung und Konstruktion des Bourgeois.« Wolfram Schütte Deutschlandfunk 20150812







