Die letzte öffentliche Lesung von Michail Kusmin im Leningrader Institut für die Geschichte der Künste sorgte für Furore: Alle Beteiligten wussten, dass es für lange Zeit eine der letzten zensurfreien Literaturveranstaltungen bleiben würde. Kusmin las aus dem Manuskript des Gedichtbands Die Forelle bricht das Eis, der nicht nur als Höhepunkt seines Schaffens gilt, sondern auch ein Schlüsselwerk der Dichtung des 20. Jahrhunderts darstellt. Die beiden Zyklen aus jenem Band, die nun unter einem neuen Titel erstmals dem deutschsprachigen Publikum vorgestellt werden - »Die Forelle bricht das Eis« und »Lazarus« -, weisen die zentralen Merkmale seines Werks auf: das Spiel mit der Weltkultur, antike und biblische Motive, breite Assoziationsräume und schwindelerregende Sprünge zwischen den Epochen. Daneben lässt sich der Einfluss des deutschen Expressionismus beobachten: In beiden Zyklen werden mit Techniken des expressionistischen Films Geschichten erzählt, die teils mystische, teilskrimiartige Züge haben - ein verhängnisvolles »Liebesfünfeck« unter Beteiligung von drei Geschwistern in »Lazarus« und der Verlust eines Geliebten an eine Frau in der »Forelle«.
Michail Kusmins offene Thematisierung gleichgeschlechtlicher Liebe machte ihn zu einem Wegbereiter der modernen queeren Literatur. Mit seinen Gedichten durchstieß er auf wundersame Weise die Mauer der Zensur, bevor sich das Eis der Unterdrückung verdichtete und ein langer Winter anbrach.
Michail Kusmins offene Thematisierung gleichgeschlechtlicher Liebe machte ihn zu einem Wegbereiter der modernen queeren Literatur. Mit seinen Gedichten durchstieß er auf wundersame Weise die Mauer der Zensur, bevor sich das Eis der Unterdrückung verdichtete und ein langer Winter anbrach.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Überraschende Einblicke in die Leningrader Boheme des Jahres 1929 ermöglicht diese Veröffentlichung laut Rezensent Urs Heftrich. Daniel Jurjew und Anja Utler haben zwei von sechs von Michail Kusmin verfasste erzählerische Gedichtzyklen ins Deutsche übertragen. Es geht in diesen Versen unter anderem um Séancen, Husaren, Zobelpelze und Oscar Wildes Dorian Gray, also allesamt Themen, die man mit der Weimarer Republik, sicher jedoch nicht mit dem stalinistischen Russland verbinden würde - in dieser frühen Phase des Stalinismus war es jedoch, stellt Heftrich klar, in manchen Fällen noch möglich, der Zensur ein Schnippchen zu schlagen und genau das hat Kusmin, in dessen Werk stets auf Homoerotik eine Rolle spielt, offensichtlich getan. Atmosphärisch darf man bei diesen Versen ans deutsche Stummfilmkino denken, so der Kritiker, der darauf hinweist, dass die vorliegende Übersetzung weitgehend auf die Reimstruktur des Originals verzichtet, was Kusmins Stil allerdings womöglich gar nicht so schlecht steht. Insgesamt scheint der Rezension sehr angetan zu sein von dieser Veröffentlichung, die Einblicke in eine Welt ermöglicht, die bereits zu ihrem Entstehungszeitraum schon fast völlig verschwunden war.
© Perlentaucher Medien GmbH
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