Auf einer indonesischen Insel fällt eine Öllampe zu Boden, kurz danach begehen niederländische Soldaten ein Massaker an den Inselbewohnern. Wie hängen diese beiden Geschehnisse zusammen und was geschah danach? Mit dieser Frage beginnt Amitav Ghosh seine Recherche auf den Spuren der Muskatnuss. Heute alltägliches Gewürz, galt sie im 17. Jahrhundert als Luxusgut - allein eine Handvoll davon reichte aus, um einen Palast zu erbauen -, denn die seltene Frucht wuchs nur auf jener Insel, die niederländische Truppen vornehmlich deshalb in Besitz nahmen, um das Handelsmonopol für die Niederländische Ostindien-Kompanie zu sichern. Während Amitav Ghosh die Reise der Muskatnuss nachzeichnet, veranschaulicht er eindrucksvoll die Mechanismen von Kolonialismus und Ausbeutung der Einheimischen sowie der Natur durch westliche Länder. Mitreißend stellt er dabei die Verbindung geschichtlicher Entwicklungen mit aktuellen Realitäten her, verkettet niederländische Stillleben und die Nomenklatur nach Linné mit der Black-Lives-Matter-Bewegung, der Covid-Pandemie und der Standing Rock Sioux Reservation, um zu zeigen, dass der heutige Klimawandel in einer jahrhundertealten geopolitischen Ordnung verwurzelt ist, die vom westlichen Kolonialismus und seiner mechanistischen Weltsicht - die Erde als bloßem Ressourcenlieferant für die Menschheit - geschaffen wurde.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent und Globalhistoriker Jürgen Osterhammel kann zwar Amitav Ghoshs literarische Größe und sein umfangreiches historisches Wissen anerkennen, muss in Bezug auf sein neues Buch aber Zweifel anmelden. Denn in Ghoshs umfangreicher, quellengesättigter Reflexion über die "planetarische Krise" und ihre Ursachen gehe es zwar ambitioniert, breit gefächert und schriftstellerisch virtuos, aber eben auch sehr "undialektisch" zu, meint Osterhammel: Denn die Abwärtsspirale der Moderne voller Genozide, Ökozide oder gar "Omnizide", die Ghosh emblematisch am Muskatnussanbau auf der Banda-Insel Lonthor nach der Auslöschung der dortigen Bevölkerung 1621 aufhänge, stelle sich bei Ghosh als ein und derselbe, seitdem einfach immer weiter wirkende "archaische Fluch" dar. Die Spezifik einzelner Krisen, und damit auch der aktuellen, fällt in dieser "düsteren Geschichtsphilosophie" hinten runter, kritisiert Osterhammel. Auch die Gegenmittel, die der Autor an die Hand gebe - moralische "Einkehr" und Demut vor der Natur - werden uns heute wenig helfen, meint der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Mit seiner poetisch-politischen Betrachtungsweise übt sich Ghosh in einer spekulativen Geschichtsschreibung, die genauso auf eine Generalrevision unseres Blicks auf die Weltgeschichte abzielt wie auf die Steigerung unserer imaginativen Freiheit. Kai Marchal Berlin Review 20240512







