"Der Fuchs weiß viele Dinge, aber der Igel weiß ein großes Ding." Dieses Versfragment des griechischen Dichters Archilochos beschreibt die zentrale These von Isaiah Berlins (1909-1997) meisterhaftem Essay über Tolstoj, in dem er eine fundamentale Unterscheidung trifft - zwischen Leuten (Füchsen), die sich von einer unendlichen Vielfalt von Dingen angezogen fühlen, und solchen (Igeln), die alles auf ein einziges, umfassendes System beziehen.Tolstoj sehnte sich nach einer einheitlichen Sicht der Dinge, aber seine Wahrnehmung von Menschen, Sachen und historischen Augenblicken war so genau, daß er nicht anders konnte, als zu schreiben, wie er sah, fühlte und verstand. Er war von Natur ein Fuchs, der ein Igel sein wollte.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Nicht mehr aus der Hand legen mochte Rezensent Alexander Cammann diesen Essay über Tolstojs Geschichtsdenken von 1953, den er zu den schönsten zählt, die der politische Philosoph geschrieben hat. Nicht nur die darin aufblitzende Brillanz, auch die elliptischen Umkreisungen, mit denen sich Isaiah Berlin seinem Thema annähert, beeindrucken ihn sehr, da er auf diese Weise den Gegenstand wesentlich genauer konturiert findet, als auf dem Weg des Thesenschnellschusses. Auch sei dieser Essay die Quelle von Berlins berühmter Unterscheidung der beiden Denkertypen Igel und Fuchs: der Fuchs wisse viele Dinge, der Igel eine große Sache, wobei er Hegel, Platon oder Proust zu den Igeln, Joyce, Goethe, Aristoteles oder Montaigne zu den Füchsen zähle. Und auch Tolstoj, dessen Roman "Krieg und Frieden" davon handele, dass das Individuum aus eigener Kraft den Gang der Dinge weder verstehen noch beherrschen könne.
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»Zu den schönsten Essays des politischen Philosophen gehört seine Annäherung an das Geschichtsdenken von Leo Tolstoj.« Alexander Cammann DIE ZEIT 20090604







