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Das neue Buch des berühmten indischen Psychoanalytikers Sudhir Kakar ist eine gelungene Mischung aus intelligenter Analyse und echtem Einführungsvermögen. Es vertieft unser Verständnis des großen indischen Dichters Rabindranath Tagore (1861-1941). Sudhir Kakar rekonstruiert die entscheidenden Jahre von Tagores Kindheit und Jugend. Er untersucht die prägenden Erfahrungen des Wunderkindes und zeigt, wie sie sein kreatives Genie formten.

Produktbeschreibung
Das neue Buch des berühmten indischen Psychoanalytikers Sudhir Kakar ist eine gelungene Mischung aus intelligenter Analyse und echtem Einführungsvermögen. Es vertieft unser Verständnis des großen indischen Dichters Rabindranath Tagore (1861-1941). Sudhir Kakar rekonstruiert die entscheidenden Jahre von Tagores Kindheit und Jugend. Er untersucht die prägenden Erfahrungen des Wunderkindes und zeigt, wie sie sein kreatives Genie formten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2018

Kein Weiser aus dem Morgenland
Sudhir Kakar nähert sich dem indischen Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore über die Analyse der Empathie

Rabindranath Tagore, Indiens Nationaldichter, starb 1941, doch die Faszination, die er ausübt, ist in Bengalen und Bangladesch bis heute ungetrübt. Sein umfangreiches Werk und sein achtzigjähriges Leben sind Inhalt zahlreicher populärer und akademischer Bücher, nicht wenige davon weiterhin verehrungsvoll-unkritisch und konventionell. Darum war es ein Ereignis, als ein Autor, der kein Literaturwissenschaftler ist, nämlich der Psychoanalytiker Sudhir Kakar, 2014 ein Buch über Tagore aus bisher unerforschter Perspektive veröffentlichte. Es ist dem Draupadi Verlag und einem Sponsor, der Pharmafirma Merck, zu danken, dass dieses Buch jetzt sogar in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Der Dichter Tagore ist bei uns kein Unbekannter. Angesichts mehrerer neuen Direktübersetzungen, einer Monographie bei Rowohlt und einer Studie über das Verhältnis von Tagore und Deutschland, herausgegeben vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach, darf man hierzulande derzeit sogar von einer bescheidenen Tagore-Renaissance sprechen. Von den alten Übersetzungen, die meist über den Umweg aus dem Englischen erfolgten, und den unzulänglich informierten, redseligen deutschen Studien aus den zwanziger Jahren ist Tagore also mittlerweile befreit. Das Buch von Sudhir Kakar ist ein weiterer Schritt, ihn modern, kritisch und gesamtmenschlich zu verstehen.

Nicht der "Weise aus dem Morgenland" begegnet uns in "Der junge Tagore", sondern ein verletzlicher, suchender, tief den Menschen und ihrer conditio Verbundener, der dennoch die Einsamkeit vorzieht, allerdings darunter leidet. Also ein insgeheim Zerrissener, wenn ihm auch die Aura des existentiellen poète maudit fehlt. Dieses Bild des indischen Dichters erscheint wahrhaftiger als jenes gravitätische, welches das deutsche Publikum nach dem Ersten Weltkrieg von ihm entwarf.

Sudhir Kakar erstellt keine Psychoanalyse Tagores, wie man es angesichts des eigentlichen Berufs des Autors erwarten könnte. Dies wäre, wie er gleich anfangs betont, nur im Miteinander von Analytiker und Patienten möglich. Doch liest er aus Briefen und Werken mehr über Tagores Persönlichkeit heraus, als es Literaturwissenschaftler rechtens tun können. Der Tod der Mutter schockte den jungen Rabindranath weniger als erwartet, weil er schon früh aus dem Umkreis mütterlicher Liebe der "Herrschaft" von Dienern übergeben worden war. Die Beziehung des Jungen zu seiner Schwägerin Kadambari ist seit jeher Gegenstand heftiger Spekulation: Warum hat sich die junge Frau das Leben genommen? Kakar hebt diese Beziehung in ein Licht persönlicher Verletzung und Trauer und verweigert erotische Klischees. Die Wunde, die dieser Tod geschlagen hat, entdeckt der Analytiker noch im späten Werk und auch in Tagores hierzulande weithin unbekannte Malerei, der er ein eigenes Kapitel widmet.

Die "innere Biographie" von Tagore setzt Kakar fort mit der Beschreibung von dessen frühem Besuch in England, um Jura zu studieren. Seine dortigen Erlebnisse inspirierten ihn zu jenen Visionen vom Dualismus zwischen "Ost" und "West", die seine Vorträge, seine Reisetätigkeit und sein politisches Denken bis zuletzt bestimmten. Tagore fühlte sich hin- und hergerissen zwischen gesellschaftlicher Vereinsamung und dem tiefen Bedürfnis, allein zu sein, um als Schriftsteller kreativ zu bleiben. Einsamkeit machte den Dichter emotional leer, ihm gelang anderseits selten ein unbeschwertes gesellschaftliches Zusammensein, dessen Behaglichkeit er als ein Feind der Kreativität empfand. Dieses Dilemma prägte seine innere Biographie, machte ihn unruhig, während das ehrwürdig Ernste sein öffentliches Image bestimmte.

Im Mittelpunkt von Kakars Buch steht der Begriff der Empathie (sympathy), den er als die wichtigste Eigenschaft von Tagores Werk beschreibt. Empathie ist ein Kontinuum liebender Verbundenheit mit anderen Menschen, mit allen Kreaturen und der Natur. Man kann von einer kosmischen Empathie sprechen, die den Geist von der Enge der Selbstbezogenheit befreit. Kakar ist davon überzeugt, dass einzig die Manifestationen einer immer weiter gespannten Empathie zu einem echten menschlichen Fortschritt führt.

Diese Empathie war ständig in Gefahr, durch Tagores Trauer über den Tod Kadambaris und von dreien seiner Kinder überschattet zu werden. Kakar bestätigt auch, dass der Dichter - bald nachdem er 1913 den Literaturnobelpreis erhielt - an einer Depression litt, die er später nur durch kreative Tätigkeit überwinden konnte. In Indien kann man noch nicht offen von solchen Nöten eines verehrten Dichters sprechen. Das wird auch der Grund sein, weshalb Kakars Buch bisher in seiner Heimat wenig rezipiert worden ist. Für uns ist dieses Buch jedoch ein Schlüssel zum Verständnis einer großen Gestalt der Weltliteratur.

MARTIN KÄMPCHEN

Sudhir Kakar: "Der junge Tagore". Wie sich ein Genie herausbildet.

Aus dem Englischen von Barbara Dasgupta. Draupadi Verlag, Heidelberg 2017. 204 S., Abb., br., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Martin Kämpchen lernt in Sudhir Kakars "innerer" Biografie über den indischen Nationaldichter Rabindranath Tagore einen Schriftsteller mit kosmischer Empathie kennen. Passend in die gegenwärtige kleine Tagore-Renaissance, hilft das Buch laut Rezensent, Tagore modern, kritisch und gesamtmenschlich zu verstehen. Wie Kakar unser "gravitätisches" Bild von Tagore korrigiert hin zum Bild eines suchenden, zerrissenen Autors, scheint Kämpchen der Wahrheit nahezukommen. Dass der Psychoanalytiker Kakar keine Analyse Tagores vorlegt, nur Werke und Briefe des Autors stärker auf die Persönlichkeit hin liest, findet Kämpchen durchaus überzeugend.

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