Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 4,80 €
  • Broschiertes Buch

Der politische Goethe ist einem größeren Publikum so gut wie unbekannt, auch als Gegenstand der Forschung wurde das Thema bisher weitgehend vernachlässigt.
Wolfgang Rothe setzt sich aus einer bewundernswert umfassenden Kenntnis des Gesamtwerks heraus mit Goethes politischem Kontext auseinander. Die Befunde sind irritierend, ja desillusionierend: Der Erste Minister des Zwergstaates Sachsen-Weimar-Eisenach eignet sich schwerlich als Leitgestirn einer deutschen Republik. Aus Dichtungen, Briefen, Tagebüchern und Annalen entsteht das Bild eines erzkonservativen Verteidigers des…mehr

Produktbeschreibung
Der politische Goethe ist einem größeren Publikum so gut wie unbekannt, auch als Gegenstand der Forschung wurde das Thema bisher weitgehend vernachlässigt.
Wolfgang Rothe setzt sich aus einer bewundernswert umfassenden Kenntnis des Gesamtwerks heraus mit Goethes politischem Kontext auseinander. Die Befunde sind irritierend, ja desillusionierend: Der Erste Minister des Zwergstaates Sachsen-Weimar-Eisenach eignet sich schwerlich als Leitgestirn einer deutschen Republik. Aus Dichtungen, Briefen, Tagebüchern und Annalen entsteht das Bild eines erzkonservativen Verteidigers des spätabsolutistischen Fürstentums. Ein Bild, dem reaktionäre Züge nicht fehlen und das in völligem Widerspruch zu der seit Thomas Mann beliebten Stilisierung Goethes zum »Repräsentanten des bürgerlichen Zeitalters« steht.
Mit seinen kraß antiliberalen Affekten, seiner Abneigung gegen eine Verfassung, seinem Nein zu Presse- und Druckfreiheit und seiner abgrundtiefen Verachtung der »Menge« war der Geheime Rat v. Goethe schon im Vormärz als Integrationsfigur der »verspäteten Nation« ungeeignet. Um wieviel mehr ist heute im wiedervereinigten Deutschland Skepsis angebracht gegenüber seinem Plädoyer für den apolitischen Untertan, der sich aus öffentlichen Angelegenheiten und Staatsgeschäften heraushalten soll.
Rothe wehrt sich mithin vehement gegen die derzeit um sich greifende Vereinnahmung des Weimarer Dichterfürsten für nationale und kulturpolitische Zwecke. Die Größe und Einzigartigkeit des Dichters, Dramatikers und Romanciers steht dabei für ihn außer jedem Zweifel.
Autorenporträt
Dr. phil. habil. Wolfgang Rothe ist Literaturwissenschaftler und Soziologe.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1998

Goethe war ein Betonkopf
Gewagt: Wolfgang Rothe entzaubert Deutschlands größten Dichter

Das Goethe-Jahr 1999 wirft publizistische Schatten voraus. Ein Buch über den politischen Goethe kann jetzt seine Wirkung nicht verfehlen. Liest man die "Vorbemerkungen" zu Wolfgang Rothes Studie, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. "Der größte Deutsche wird gegenwärtig auf das Unverschämteste exploitiert", heißt es da. Von den Repräsentanten des wiedervereinigten Deutschlands werde er ohne Vorbehalte "zur nationalen Ikone erhoben". Man fragt sich, in welchem Deutschland Rothe lebt. Das bekannte kann es nicht sein, denn dieses Deutschland ist nicht zu dem "Adorationsgestus" gegenüber Goethe aufgelegt, den Rothe seinem Deutschland zuschreibt. Hat nicht eben noch ein hessischer Kultusminister betont, man könne gut ohne Goethe auskommen? Nein, mit Dichtung, mit Goethe gar ist in unserem Staat kein Staat zu machen.

Doch staunen wir weiter: Der angebliche "Goethe-Kult unserer Tage" und insbesondere die mit Goethe befaßte Wissenschaft ignorieren nach Rothe weithin die politischen Intentionen seiner Selbstzeugnisse und literarischen Werke. "Der politische Goethe wird uns schlichtweg unterschlagen." Wenn man die jüngste Goethe-Forschung so willkürlich-selektiv berücksichtigt wie Rothe, wenn man nicht einmal die Kommentare der neuen Frankfurter und Münchener Goethe-Ausgaben zu kennen scheint, mag man zu dieser Meinung gelangen. In Wirklichkeit ist keine Seite Goethes in den letzten Jahrzehnten intensiver erforscht worden als die politische, ja, man kann den Eindruck gewinnen, daß die Goethe-Forschung seit den späten sechziger Jahren sich stärker für den politischen als den poetischen Goethe interessierte.

Rothe baut in seinem Vorwort Pappkameraden auf, gegen die er kräftig streitet, um seine Originalität zu zeigen. In Wirklichkeit ist er nur ein in jeder Hinsicht blinder Passagier der Goethe-Literatur, die er je nach Vorliebe nutzt oder ignoriert, ohne zu den differenzierten Wertungen zu gelangen, welche die jüngste Forschung dem politischen Goethe zuteil werden ließ. Im Grunde fällt er auf die Position Ludwig Börnes zurück, der Goethe als Reaktionär denunzierte. Rothe bellt Börnes Parolen nach, doch fehlen ihm dessen scharfe Zähne, und so wedelt er lieber hin und wieder beschwichtigend mit dem Schwanz. Nimmt er doch Goethe dessen vermeintlich erzkonservative Gesinnung nicht sehr übel, behauptet gar auf der ersten Seite seines Versuchs: ". . . wer etwa einige tausend Briefseiten von seiner Hand gelesen hat und ihn dann noch immer nicht liebt, dem ist eben nicht zu helfen, der soll ihn lassen." Rothe selber ist nicht zu helfen, er hätte Goethe wirklich lassen sollen, denn von seiner Liebe zu ihm ist auf den engzeilig bedruckten 239 Seiten dieses zäh geschriebenen Essays wenig zu spüren. Wie soll man auch den von ihm präsentierten, allem Fortschritt abholden Betonkopf des Ancien régime, der noch im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts vermeintlich nicht über den Gartenzaun des achtzehnten zu blicken vermochte, lieben können?

Die Thesen Rothes lassen sich schnell zusammenfassen: Goethe sei ein intransigenter Rechter, "Ideologe der Gegenrevolution", rigoroser Antidemokrat, "ohne Wenn und Aber" auf der Seite der absolutistischen Monarchie - im Sinne des "l'état c'est moi" - und des verkrusteten Feudalsystems stehend, nicht bereit, den Status quo anzutasten, es sei denn in reaktionärem Sinne. Von Sozialkritik habe er in keiner Phase seines Lebens etwas wissen wollen. Im Alter sei er mehr und mehr zum rabenschwarzen Melancholiker und Pessimisten geworden, der in der Zeitgeschichte nichts als Zerfall und Niedergang wahrzunehmen vermochte. "Die berühmt-berüchtigte Losung des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. im Revolutionsjahr 1848 - ,Ruhe ist die erste Bürgerpflicht' - hätte aus Goethes Munde stammen können." (Nebenbei bemerkt: Diese Losung steht in dem Aufruf, der nach Napoleons Sieg in der Schlacht bei Jena am 17. Oktober 1806 in den Berliner Straßen plakatiert wurde. Ein Beispiel für den sorgfältigen Umgang Rothes mit Zitaten.) Aller "Bewegung" sei Goethe so feind gewesen, daß er selbst dieses Wort "stets semantisch negativ besetzt" habe. "Nichts weist bei Goethe in die moderne Welt voraus."

Der Leser sei hier nicht weiter mit Rothes einseitigen und engstirnigen Behauptungen gequält, die sich in ihrer abstrusen Überzogenheit selbst widerlegen. Daß sich bei Goethe zu fast jeder Äußerung eine Gegenäußerung finden läßt, daß er nach den Worten selbst des braven Eckermann einem vielseitigen Diamanten glich, der dem Betrachter immer wieder neue, unvorhergesehene Facetten zeigte, eine Widerspruchsnatur, in der Thomas Mann gar teuflische Züge witterte - Rothe hat von alldem keine Ahnung. Das Schlimmste an seiner Studie aber ist, daß er den angeblich erzkonservativen bis reaktionären Ideologen Goethe auch aus seinem poetischen Werk herausliest. Er scheint noch nie etwas davon gehört zu haben, daß man die Äußerung einer fiktiven Figur nicht, abgelöst von ihrem literarischen Kontext, als Meinung des Autors ausgeben darf. So gelangt er etwa zu der törichten Ansicht, der Dichter des "Tasso" habe sich in der Gestalt Antonios "ein für allemal" mit der rigiden absolutistischen Staatsräson fixiert und "den Vorrang der Staatsexistenz vor dem Künstlergenie" statuiert.

Am Ende seines Essays redet der Verfasser von der "Tragik", daß "der größte Schriftsteller, der weiteste Geist der Deutschen" - wann hätte Rothe von dieser Größe und diesem Geist auch nur das Geringste spüren lassen? - sich allem politisch-gesellschaftlichen Fortschritt verweigert habe. Diese Tragik ist eine Erfindung Rothes, der den ,anderen' Goethe nicht kennt, zum Beispiel nichts von Goethes ausgebreiteten sozialökonomischen Kenntnissen zu wissen scheint, die weit ins neunzehnte Jahrhundert reichen, und Goethes inkommensurables Wesen auf eine einzige Facette reduziert. Rothes Essay ist nicht nur ein überflüssiges Buch ohne neue Gedanken, es sei denn man hielte seine absurden Übertreibungen für neu, sondern ein ärgerliches Zerrbild des "politischen Goethe", das möglichst bald vergessen werden sollte. DIETER BORCHMEYER

Wolfgang Rothe: "Der politische Goethe. Dichter und Staatsdiener im deutschen Spätabsolutismus". Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 239 S., br., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr