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Wie wächst man auf, als Sohn Baldur von Schirachs, eines der führenden Nationalsozialisten? Richard von Schirach berichtet zum ersten Mal von seiner Jugend in Bayern, von seiner Mutter, die sich scheiden ließ und die Kinder in Internaten unterbrachte, von den wenigen Besuchen, die ihm bei seinem Vater im Allied Prison in Berlin Spandau gestattet waren. Und von den Briefen: 1080 hatte der Vater bis zum Ende der Haft geschrieben. Seine Rolle in der nationalsozialistischen Diktatur hat er allerdings immer ausgespart. Eine beispielhafte deutsche Familiengeschichte, die anschaulich zeigt, warum 1945 noch lange nichts zu Ende war.…mehr

Produktbeschreibung
Wie wächst man auf, als Sohn Baldur von Schirachs, eines der führenden Nationalsozialisten? Richard von Schirach berichtet zum ersten Mal von seiner Jugend in Bayern, von seiner Mutter, die sich scheiden ließ und die Kinder in Internaten unterbrachte, von den wenigen Besuchen, die ihm bei seinem Vater im Allied Prison in Berlin Spandau gestattet waren. Und von den Briefen: 1080 hatte der Vater bis zum Ende der Haft geschrieben. Seine Rolle in der nationalsozialistischen Diktatur hat er allerdings immer ausgespart. Eine beispielhafte deutsche Familiengeschichte, die anschaulich zeigt, warum 1945 noch lange nichts zu Ende war.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kritisch betrachtet Rezensentin Christine Brinck diese Erinnerungen Richard von Schirachs an seinen Vater Baldur, dem einstigen Reichsjugendführer und Reichsstatthalter von Wien, der vom Internationalen Gerichtshof in Nürnberg zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Sie hält dem Autor vor, sich mehr mit dem Klein-Klein seiner Nachkriegskindheit zu befassen als mit den wirklich interessanten Fragen. Etwa danach, wie ein Heranwachsender mit der massiven Schuld seiner Eltern fertig wird, wie die Entstehung des Antisemitismus seines Elternhauses zu erklären sei oder wie es Baldur 1945 als kulturelle Errungenschaft bezeichnen konnte, dass Wien judenfrei sei. Fragen wie diese streife der Autor allerdings nur. Als private, familiäre Aufarbeitung einer Nachkriegskindheit gehört das Buch nach Ansicht Brincks in einen Selbstverlag. Historisch bringe es nicht viel, und psychologisch bleibe es viel zu vage und ducke sich vor den großen Fragen weg. Brincks Urteil fällt dann auch ziemlich scharf aus: "Für Täterkinder mögen derlei Erinnerungen eine Art Therapie sein, für den Leser sind sie dann doch zu dürftig."

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2005

Briefe aus Spandau
Richard von Schirach über die Entfremdung von seinem Vater

Als Bub erschien es ihm völlig normal, daß die Mutter nicht vom Einkaufen zurückkam, sie von der Straße weg verhaftet wurde. Schließlich waren die meisten Familienmitglieder eingesperrt, im Gefängnis oder in einem Lager. Was wiederum nicht verwunderlich ist. Sein Großvater war Heinrich Hoffmann, Hitlers Hoffotograf. Seine Mutter war dessen Tochter und sein Vater Baldur von Schirach, Hitlers Reichsjugendführer. Als die Nürnberger Richter den späteren Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien zu zwanzig Jahren Haft verurteilten, war sein Sohn Richard gerade mal vier.

Dieser Sohn hatte einen Vater, der sich zu Wort meldete und dennoch abwesend war. Abgesehen von den Besuchen im Alliierten Militärgefängnis, kannte er ihn nur aus Briefen. Sie waren gespickt mit Ratschlägen etwa der Art: "Denk an die späteren Quartette von Beethoven!" Jede Woche erhielt Richard - wie auch seine drei älteren Geschwister - einen solchen väterlichen Brief aus Spandau. Es waren 1080 an der Zahl. Jede Woche antworteten ihm die Kinder. Richard von Schirach hat nun einen Teil dieser Briefe wieder gelesen. Knapp vierzig Jahre nach der Entlassung des Kriegsverbrechers hat der Sohn ein Buch geschrieben - über sich, seine Kindheit und Jugend, über die Beziehung zum Vater, über das Nachkriegsdeutschland.

"Der Schatten meines Vaters": Der Titel ist nicht einfallsreich, eher abgegriffen, zumal da einer nicht nur sehr emotional, sondern auch historisch analysiert, warum er diesen Schatten längst abgeworfen hat und sich dem Vater überlegen fühlt. Gleichwohl ist das Buch keine erbarmungslose Anklageschrift, wie sie etwa Niklas Frank verfaßt hat, der Sohn von Hans Frank, Hitlers "Generalgouverneur" in Polen. Es kommt nicht einmal einer späten Abrechnung mit dem Vater nahe, der sich als "anständiger Antisemit" bezeichnete, dennoch 60 000 Juden aus Wien deportieren ließ und sich rühmte, die Stadt "judenfrei" gemacht zu haben.

Es ist vielmehr die Geschichte einer enttäuschten Liebe, einer Entfremdung zwischen zwei Menschen, deren familiäre Bande das Trennende nicht überwinden können - weil der Sohn zunehmend fassungslos wird angesichts der Greueltaten des Regimes, der Perversion von Werten in Deutschlands dunkelster Zeit. Und weil der Vater die Worte der Reue nicht findet, sondern die Schuld auf andere schiebt. So, wie es sich in ungezählten Familien nach 1945 abgespielt hat. Richard von Schirach hat unter diesem Gesichtspunkt ein exemplarisches Buch geschrieben, wobei freilich das Erbe, Kind eines Nazi-Oberen zu sein, besonders schwer ist.

"Weihnachten 1945 erfüllte nicht unbedingt die Erwartungen eines Dreijährigen." So lapidar wie wohl wahr beginnt Richard von Schirach das Kapitel, in dem er erstmals von seinen eigenen Erinnerungen erzählt. Zuvor betreibt er Familiengeschichte und beschäftigt sich mit den Verhältnissen am Anfang des vergangenen Jahrhunderts in Weimar, seinem deutsch-nationalen Großbürgertum, in das Baldur von Schirach als Sohn des Hoftheater-Generalintendanten hineingeboren wurde: Da begibt sich einer auf die Suche nach Spuren dafür, warum der Vater dem nationalsozialistischen Gedankengut verfallen konnte.

Erst nach dieser "Einführung" schildert der großartige Milieu-Erzähler, was es bedeutete, als Familie eines Täters in Bayern aufzuwachsen. Vom Hamstern der Mutter bis zur Begegnung mit einem Amerikaner, der eine Zigarre auf seiner Hand ausdrückte. Und wie er als ahnungsloser Junge den Vater, den geheimnisumwitterten Unbekannten im Kerker, romantisch verklärte, ihn in noch höhere Sphären hob, nachdem sich die Mutter von ihm hatte scheiden lassen. Mit seiner Mutter Henriette Hoffmann, für die es als junges Mädchen selbstverständlich war, das zu lesen, was Hitler ihr aussuchte, und der auch noch im Alter eine gewisse Uneinsichtigkeit nachgesagt wird, geht Richard von Schirach milde um. Er hat es ihr offensichtlich nicht vergessen, daß sie es einmal auf dem Obersalzberg gewagt hatte, vor Hitler ein kritisches Wort über den Abtransport von Juden zu sagen.

Der Vater hatte solches nicht gewagt. Auch dieser stille Vorwurf zieht sich durch das Buch, das vor allem dann eindrucksvoll wird, wenn der Autor zum Beobachter seiner widerstreitenden Gefühle wird: Er unterscheidet zwischen seiner Sohnespflicht gegenüber dem Vater und der historischen Figur dieses Vaters. Wenn er etwa das Leben der Häftlinge in Spandau beschreibt und wie das Verbot, Blumen zu züchten, sie offenbar in seelische Verzweiflung stürzte: ",Nummer eins', der gesagt hatte: ,Wir leben, um für Hitler zu sterben'", habe das an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht, merkt Richard von Schirach bitter-ironisch zu seinem Vater an. Eindrucksvoll auch die Schilderungen seiner Besuche im "Prisong", wie das Militärgefängnis im Familienjargon hieß. Hier mutiert die Autobiographie zum Bericht des Zeitzeugen.

Die Sohnespflicht, die Briefe nach und die Besuche in Spandau, enden mit der Heimkehr des Vaters. Schirach nennt es "Vaterdienst". Zweifellos sind dies die interessantesten Seiten des Buches: Die Hoffnung trügt, endlich eine "normale Familie" sein zu können. Aber was ist in diesem Fall Normalität? Beim Sohn stellt sich nun auch Entsetzen ein über den Besuch, den der Vater bekam, und die Briefe, die Sätze enthielten wie: "Mit Ihrem Namen wird für immer die großartige Leistung der deutschen Jugend in Krieg und Frieden" verbunden bleiben. Die Autorität des Vaters verblaßt endgültig. Der Sohn beschreibt all dies so, als sei bei ihm nur noch Mitleid übrig für einen alten Mann.

CORNELIA VON WRANGEL

Richard von Schirach: Der Schatten meines Vaters. Carl Hanser Verlag, München 2005. 384 S., 24,90 [Euro].

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