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Am Ende seines Lebens wird Victor Maskell die Maske vom Gesicht gerissen: Der angesehene Kunsthistoriker wird als Doppelagent enttarnt. Nun zieht er eine Bilanz seines bewegten Lebens - vom Studium in Cambridge über die Zeit im dekadenten London der 30er Jahre bis zu seinen Einsätzen als russischer Spion. Es ist die Geschichte eines Mannes, der an den großen Ereignissen des Jahrhunderts teilhatte, sich in seinen Rollen und Kostümen aber selbst verlor.

Produktbeschreibung
Am Ende seines Lebens wird Victor Maskell die Maske vom Gesicht gerissen: Der angesehene Kunsthistoriker wird als Doppelagent enttarnt. Nun zieht er eine Bilanz seines bewegten Lebens - vom Studium in Cambridge über die Zeit im dekadenten London der 30er Jahre bis zu seinen Einsätzen als russischer Spion. Es ist die Geschichte eines Mannes, der an den großen Ereignissen des Jahrhunderts teilhatte, sich in seinen Rollen und Kostümen aber selbst verlor.
Autorenporträt
John Banville, geboren 1945 in Wexford, Irland, gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Irlands. Sein umfangreiches literarisches Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2011 mit dem Franz-Kafka-Preis, 2013 mit dem Österreichischen Staatspreis und 214 mit dem Prinz-von-Asturien-Preis. John Banville lebt und arbeitet in Dublin.

Christa Schuenke, geboren 1948 in Weimar, studierte Englisch und Französisch in Leipzig und absolvierte ein Philosophiestudium in Berlin. Sie ist seit 1978 als literarische Übersetzerin aus dem Englischen und Amerikanischen aktiv. Einen Namen machte sie sich vor allem mit Klassikerübertragungen, darunter William Shakespeare, John Donne, Herman Melville, John Keats oder Edgar Allan Poe. Dafür wurde sie u.a. mit dem Christoph-Martin-Wieland-Preis und dem Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet. Christa Schuenke lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.1997

Kleine Schätze
John Banvilles Roman "Der Unberührbare" · Von Florian Illies

"Die Kunst und das Leben sind, weiß Gott, unterschiedlich", schrieb, ein wenig altklug, der junge Anthony Blunt im Juli 1933 in seiner Kunstkolumne für den "Spectator". "Aber ganz unabhängig voneinander", so fuhr Blunt etwas weniger altklug fort, "sind sie dennoch nie." Man kann es jedoch zumindest versuchen, mag sich da der clevere Sohn eines irischen Pfarrers gedacht haben und stellte fortan sein ganzes Dasein in den Dienst dieses Unabhängigkeitskrieges. Kunst versus Leben, Sein versus Schein. Die alte Leier also, doch diesmal fast perfekt gespielt. Fast.

Blunt war einer jener überfeinerten, homosexuellen Ästheten aus gutem Hause, die das Cambridge der dreißiger Jahre prägten. Als er 1983 starb, durfte man ihn als den neben Kenneth Clark bedeutendsten englischen Kunsthistoriker bezeichnen, seine Untersuchungen zur barocken Malerei und Architektur, vor allem seine bahnbrechenden Arbeiten über Nicolas Poussin schrieben Kunstgeschichte. Er war - nach einer kurzen Tätigkeit im englischen Geheimdienst während des Krieges - Direktor des Londoner Courtauld Institute und hochgeehrter Kurator der Königlichen Sammlungen.

Doch all das hat man in England fast vergessen, seit Margaret Thatcher am 15. November 1979 Anthony Blunt im Parlament als jenen geheimnisumwitterten "vierten Mann" enthüllte, der seit den dreißiger Jahren für den sowjetischen Geheimdienst spioniert hatte und dem die anderen Doppelagenten Burgess, MacLean und Philby die Möglichkeit zur Flucht verdankten. Das kostete Blunt zwar seinen durch mühsames Katalogisieren erarbeiteten Adelstitel und ein wenig auch sein Renommee. Aber wie er damals nach der Enttarnung vor den Fernsehkameras selbstverliebt an seiner Krawatte zupfte und sein spätes Ausscheiden aus dem KGB damit erklärte, daß ihm die Sowjetunion in den sechziger Jahren einfach nicht mehr gesellschaftsfähig erschien - das deutete darauf hin, daß Blunt den Skandal auch ein wenig genoß.

Wochenlang erfüllte, wie George Steiner in seiner Analyse des Falls schrieb, "das Gesumm eines aufgeregten Chors" die Leserbriefspalten der englischen Zeitungen. Mit Hilfe immer neuer Archivfunde und Hypothesen wurde versucht zu rekonstruieren, wer den jungen, schillernden Salonmarxisten in Cambridge wann für den KGB angeworben hatte - und vor allem: warum. Die Kunsthistoriker versuchten unterdessen nachzuweisen, wie sich Blunts Spionagetätigkeit auf seine Interpretationen der Gemälde Poussins ausgewirkt hatte, und Alan Bennett machte ihn sogar zur Hauptfigur eines Theaterstücks. Inzwischen nehmen die Bluntiana im Regal mehr Raum ein als alle seine kunsthistorischen Abhandlungen zusammen. Man könnte also meinen, zu Anthony Blunt sei alles Wesentliche gesagt.

"Warum", fragt nun am Anfang des neuen Romans von John Banville noch einmal eine junge Schriftstellerin den soeben enttarnten Anthony Blunt, "warum haben Sie es getan?" Doch Blunt, der hier Victor Maskell heißt, sagt nicht, wie man erwarten würde, "das ist eine lange Geschichte", sondern erzählt sie einfach. 546 Seiten lang. Er gibt nicht eine Antwort, sondern viele, was insofern konsequent ist, als er - wie er bekennt - nicht bloß zweifach gelebt habe, sondern vielmehr: "Vierfach, fünffach, das kommt schon eher hin." Ein Leben als Spagat zwischen bodenständigem Irland und hochnäsigem, tiefenglischem Cambridge, zwischen Homo- und Heterosexualität (im Buch ist Maskell verheiratet), zwischen ehrbarem Kunsthistoriker und zwielichtigem Doppelspion - Schizophrenie für Fortgeschrittene also.

Immer wieder erinnert sich Maskell an die Sonntagsausflüge seiner Kindheit und wie unsagbar zärtlich der Vater damals das Laubwerk auseinanderbog, um ihm die Vogelnester zu zeigen, die versteckt waren "wie kleine Schätze". Doch erst als er im Sommer 1933 in einer kleinen Londoner Galerie die Bilder wie jene Zweige zur Seite schiebt, entdeckt Maskell den Schatz seines Lebens. Es ist ein kleines Gemälde von Nicolas Poussin, das den "Tod des Seneca" darstellt. Maskell erwirbt es für den lächerlichen Preis von dreihundert Pfund. Als er im Kriege dann in höchster Lebensgefahr schwebt, denkt er nicht an Vater noch Mutter, nicht an Weib noch Kind, nicht an den Geliebten - er denkt nur an dieses Bild. Allein der Poussin bleibt wahrhaftig und echt in seiner Welt, in der ansonsten nichts ist, wie es ist. Erst als, gegen Ende des Romans, ein Experte an der Echtheit dieses Gemäldes zu zweifeln beginnt, scheint auch Maskell selbst in den Labyrinthen seines Lebens die Orientierung zu verlieren. Es ist eines der vielen hübschen Details des Romans von John Banville, daß sich die Liebesgeschichte zwischen Blunt alias Maskell und diesem Poussin tatsächlich fast genauso zugetragen hat.

Es gibt immer wieder solche Stellen, wo John Banville die Fiktion mit der Realität direkt verbindet. Doch schon im nächsten Satz biegt er dann wieder ab in die Gefilde der Phantasie. Kleine Versteckspiele hatten bereits in den letzten zehn Romanen Banville seine über das Formale weit hinausreichende Bedeutung. Sowohl im "Buch der Beweise" (1991), in den nicht übersetzten "Ghosts" wie in der in Deutschland sehr erfolgreichen "Athena" (1996) waren die Suche nach Identität, die kunsthistorischen Fragen der Fälschung und Repräsentation der Wirklichkeit die flirrenden Subthemen seiner Dichtung. Im Rückblick scheinen all seine Bücher - auch die Gelehrtenporträts eines Kopernikus und Kepler aus den siebziger Jahren - bereits auf diese Geschichte eines Doppellebens hinzuarbeiten.

Mit "Der Unberührbare" ist John Banville, dem 1945 in Irland geborenen Schriftsteller und Literaturredakteur der "Irish Times", ein großer Roman gelungen. Seine Spannung ist dezent, seine Komposition souverän, sein Stil famos. Die über fünfhundert Seiten lange Suada des Ich-Erzählers Victor Maskell greift zu Beginn tief aus in das fiebrige Milieu der Cambridger Collegeherrlichkeit der Vorkriegszeit, das hier nun endlich jene literarische Verewigung erfährt, die die Oxforder Konkurrenz in Evelyn Waughs "Brideshead Revisited" längst gefunden hat.

Maskell erzählt von seiner Anwerbung durch den sowjetischen Geheimdienst, seiner Rußland-Reise, seinen Kriegsjahren mit homosexueller Initiation im Bombenhagel und Spionagearbeit in Bletchley Park. Er berichtet von seiner Mission nach Deutschland, wo er - wie seinerzeit Anthony Blunt - Schriftstücke sichergestellt hat, die die enge Beziehung zwischen dem englischen Königshaus und den Nazis dokumentieren, wofür er mit einem Posten in der königlichen Gemäldegalerie belohnt wird. Und schließlich: die Hilfe zur Flucht seiner Studienkollegen aus Cambridge, die als Doppelagenten enttarnt waren, und seine Grübeleien, ob das nun die feine englische Art war oder nicht. Es ist ein Leben zwischen Enttäuschungen der Liebe und Freuden der Kunst, ein Leben voller Gin (und fast ohne Politik), ein Leben, das ein "hektisches Theaterstück war, in dem ich alle Rollen selbst verkörperte". Die Spionage war darin nur eine Rolle unter vielen. Sie erinnerte ihn an die Spiele seiner Jugend, an Räuber und Gendarm. "Du hast doch nur mitgemacht", so bilanziert später der geliebte Kollege Nick, "weil du dadurch so tun konntest, als ob du an etwas glaubst." Doch so tun, als ob, das war Maskells Synonym für: leben.

Wenn das Leben nicht einmal mehr die Kunst imitiert, sondern bloß das schlechte Fernsehen, wie Woody Allen sagt, selbst die Spione nur noch Spione spielen und sich Maskell und sein Vernehmer vom britischen Geheimdienst regelmäßig Weihnachtskarten schicken, dann wird nachvollziehbar, warum Maskell mit akribischer Besessenheit daranging, im Reich der Kunst Fälschungen von Originalen zu scheiden. Und warum ihn allein der Gedanke, niemals wieder die Gemälde des Louvre sehen zu können, daran hinderte, ebenfalls nach Moskau überzulaufen. Allein die Kunst bietet eben noch Wahrheit, zumindest ein bißchen. Das Leben jedoch - es tut nur so.

Zur großen erzählerischen Kunst Banvilles gehört, wie er die zersplitterte Identität des alternden Maskell stilistisch abfedert, wie dem Ich immer wieder ein anderes Ich ins Wort fällt und wie Maskell darauf achtet, vor der ständig präsenten Schriftstellerin, die seine Biographie schreiben will und in deren lauschende Rolle der Leser schlüpft, eine gute Figur abzugeben. Auch im Beichtstuhl ist er noch der alte, perfekte Schauspieler. Dem assoziativen Stil gelingt es, die verschiedenen Zeitstufen und Rollen spielerisch miteinander zu verschleifen. Die Sätze sprudeln aufgeregt los, um dann langsam und breit auszulaufen wie ein Fluß ins Meer. Oft aber schiebt Banville auch eines seiner herrlichen Semikola ein; diese vom Aussterben bedrohten Satzzeichen wirken bei ihm wie kleine Dämme, die den Sprachfluß kurz aufstauen und stoppen, um dann um so schwungvoller überspült zu werden.

"Der Unberührbare" ist keine Biographie Anthony Blunts, sondern ein Roman, der ganz aus sich selbst heraus existiert, aus seinen subtilen Grabungen in den Verwerfungen der Psyche. Man muß Blunt nicht kennen, um Maskell begreifen zu können. Nach der Lektüre ist man ohnehin geneigt, dieser fiktionalen Beichte mehr Authentizität zuzubilligen als all den archivgesättigten Sachbüchern. Dank Banville ist dieses merkwürdige Leben nun endlich zu Kunst geworden.

John Banville: "Der Unberührbare". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Christa Schuenke. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997. 546 S., geb., 49,80 DM.

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