Produktdetails
- Edition Trickster
- Verlag: Peter Hammer Verlag
- 1999.
- Seitenzahl: 355
- Deutsch
- Abmessung: 205mm
- Gewicht: 502g
- ISBN-13: 9783872948311
- ISBN-10: 3872948318
- Artikelnr.: 08190467
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Durch Mitleid wissend: Wie ein Jesuit der Vereinigung afrikanischer Medizinmänner beitrat
Daß man den Bewohnern des "dunklen" Kontinents das Christentum bringen müsse, um sie aus ihren abergläubischen Vorstellungen zu befreien, galt im neunzehnten Jahrhundert als zentrales Argument zur Rechtfertigung des europäischen Kolonialismus. Oberflächlich betrachtet hatten die christlichen Missionen ihr Ziel erreicht, als die afrikanischen Staaten vor einem knappen halben Jahrhundert ihre politische Unabhängigkeit erlangten. Die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung Schwarzafrikas bekennt sich seither offiziell zum Christentum. Besiegt sind die traditionellen Glaubensvorstellungen damit aber noch nicht. Auch in den großen Städten spielen sie weiterhin ihre Rolle. Die Einsicht in die Widerstandskraft und Zählebigkeit überlieferter religiöser Formen hat langfristig auch in den großen Kirchen einen Wandel bewirkt. An die Stelle einer rigorosen Verdammung aller nichtchristlichen Kulte ist das Bemühen getreten, einen verstehenden Zugang zu gewinnen.
Eric de Rosny zeigt in seinem Buch, wie weit ein katholischer Priester auf diesem Weg zu gehen bereit sein kann. "Die Augen meiner Ziege" ist der Erfahrungsbericht eines Jesuiten, der sich freimütig zu der Faszination bekennt, die das Phänomen der afrikanischen Hexerei auf ihn ausgeübt hat. Während der vielen Jahre, die er als Missionar und Gymnasiallehrer in der kamerunischen Großstadt Duala tätig war, suchte de Rosny immer wieder bewußt den Kontakt zu den traditionellen Heilern der Vorstädte. Nachdem er die ersten Widerstände überwunden und das Vertrauen seiner einheimischen Informanten gewonnen hatte, gelang es ihm, tiefer in das Weltbild der Hexer und Heiler einzudringen als viele professionelle Forscher vor ihm.
Die unserem Denken so geläufige Kategorie des Zufalls ist bekanntlich eine Leerformel, die für alles und jedes herhalten kann. In den westafrikanischen Kulturen spielt sie kaum eine Rolle. Unglück, Krankheit und Tod werden auf den Schadenszauber von Hexen zurückgeführt, vor deren Einwirken sich der einzelne nur mit Hilfe ihrer traditionellen Gegenspieler, der Heiler oder Nganga, schützen kann. Eric de Rosny gibt zahlreiche Schilderungen der komplizierten Rituale, denen sich die von einem solchen Zauber Betroffenen unter der Anleitung der Nganga unterwerfen müssen. Der Glaube an die Wirksamkeit der Besessenheitstänze und magischen Substanzen wird zwar keineswegs von allen geteilt, doch greifen auf überlieferte Praktiken selbst die besser gebildeten und westlich orientierten jüngeren Leute zurück, wenn die Erklärungsmodelle versagen, die moderne Medizin, Psychologie oder christlicher Glaube zur Verfügung stellen. Bei Schulversagen und anhaltender Arbeitslosigkeit wird der Nganga ebenso zu Rate gezogen wie bei rätselhaften Todesfällen. Zumeist ist es ein Angehöriger der eigenen Verwandtschaftsgruppe, dessen Schadenszauber der Heiler für das Unglück verantwortlich macht. Und erstaunlich oft verschwinden die Symptome, wenn die Betroffenen sich der Heilungszeremonie unterziehen.
Im Unterschied zum Christentum und zum Islam seien die autochthonen Religionen Afrikas "therapeutische" Religionen, schreibt de Rosny. In ihrem Mittelpunkt stehe die Gesundung in einem umfassenden Sinn. Die Verabreichung von Kräutern, Rinden und anderen traditionellen Medizinen sei zwar Bestandteil eines jeden Rituals, doch flankierten sie den eigentlichen Heilungsprozeß nur. Erreicht werde das Ziel der Gesundung vor allem durch die Fähigkeit der Heiler, sich die ganze Existenz ihrer Patienten zu eigen zu machen. Die erstaunlich genaue Wahrnehmung der Konflikte, die den Kranken bedrücken, ermöglichte es ihnen, ihm das Gefühl des Bedrohtseins zu nehmen und durch Rituale die gestörte soziale Ordnung wiederherzustellen.
De Rosny verschweigt die tragischen Folgen zwar nicht, die sich aus Anschuldigungen der Nganga für diejenigen ergeben können, die sie der Schadenszauberei bezichtigt haben. Doch handelt es sich dabei seiner Ansicht nach nur um die Schattenseiten eines in sich geschlossenen Systems, dessen Wirksamkeit im wesentlichen auf dem Glauben beruht und dessen innere Logik besticht, wenn man seine Grundhypothesen erst einmal zu akzeptieren bereit ist. De Rosny macht aus seiner Sympathie für die afrikanischen Heiler keinen Hehl, von denen er beeindruckende Porträts entwirft und die selbst vor Gericht zu verteidigen er sich nicht gescheut hat. Ihren magischen Praktiken und Glaubensvorstellungen tritt er erstaunlich unvoreingenommen entgegen. Seiner Darstellung fehlt jede Spur von Überheblichkeit.
Doch sind es nicht die bisweilen allzu ausführlich geratenen Schilderungen der Rituale und nächtlichen Seancen der Nganga, die den Reiz des Buches ausmachen. Spannend wird die Lektüre vor allem dort, wo der Autor auf seine ganz persönlichen Erfahrungen, Motive und Selbstzweifel zu sprechen kommt. De Rosny hat sich nämlich nicht damit begnügt, die Rituale der afrikanischen Nganga von außen zu beobachten, sondern er hat sich selbst in den Bannkreis der afrikanischen Zauberei begeben, er hat die überlieferten Heiltechniken erlernt und sich schließlich auch in die Kunst des Geistersehens initiieren lassen. Von vergleichbaren Erfahrungsberichten, die in New-age-Kreisen seit Carlos Castanedas Schamanenzyklus so populär geworden sind, unterscheiden sich die Konfessionen des französischen Jesuiten dadurch, daß er seine eigene Position trotz allem nie preisgibt. Weit davon entfernt, zum Verkünder exotischer Wahrheiten zu werden, verschließt er sich den ethnologischen, soziologischen und psychologischen Erklärungsmodellen keineswegs, die uns zu einem besseren Verständnis des Phänomens der afrikanischen Hexerei verhelfen. Als Theologe aber sieht er die Beseitigung des Bösen als das gemeinsame Ziel an, dem sich die afrikanische Heilkunst und die christliche Verkündigung gleichermaßen widmen.
Frappierend bleibt dennoch die Offenheit, mit denen sich hier ein ordinierter Priester zu seinen religiösen Grenzüberschreitungen bekennt. Zählte der Kampf des weißen Missionars gegen die betrügerischen Machenschaften des afrikanischen Zauberpriesters zu den beliebtesten Motiven der klassischen Kolonialliteratur, so zeigt de Rosnys Buch, wie grundlegend sich die Konstellationen unter den Bedingungen des Postkolonialismus gewandelt haben. Aus den einstigen Widersachern scheinen Verbündete geworden zu sein. Auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen findet der Priester im afrikanischen Heiler heute sein Alter ego.
KARL-HEINZ KOHL
Eric de Rosny: "Die Augen meiner Ziege". Auf den Spuren afrikanischer Hexer und Heiler. Aus dem Französischen von Jochen Collin. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1999. 356 S., br., 46,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein erstaunliches Beispiel für die Wandlung im Verhältnis von christlicher Kirche und afrikanischer Hexerei sei dieser Erfahrungsbericht des Jesuiten Eric de Rosny, findet der Rezensent Karl-Heinz Kohl. De Rosny nämlich nähert sich dem Heilerwesen der Nganga (in Kamerun) nicht nur unvoreingenommen, er hat sich selbst in Kunst und Rituale einweisen lassen, berichtet Kohl. Ohne dadurch vollständig bekehrt worden zu sein, anerkenne de Rosny doch "die Fähigkeit der Heiler, sich die ganze Existenz ihrer Patienten zu eigen zu machen". Statt Missionierung also Verbündung auf der Suche nach Spiritualität - das sei durchaus der Status Quo der postkolonialen Verhältnisse, so Kohl.
© Perlentaucher Medien GmbH
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