In der Dissertation kann man die Genese von all jenem entdecken, was Andric als Literaten formte und auszeichnete.Aus Anlass der 50 Wiederkehr des Literaturnobelpreises an Ivo Andric erscheint seine Disseration "Die Entwicklung des geistigen Lebens in Bosnien unter der Einwirkung der türkischen Herrschaft" erstmals als Einzelpublikation im Wieser Verlag. "In der Dissertation kann man die Genese von all jenem entdecken, was Andric als Literaten formte und auszeichnete", schreibt Zoran Konstantinovic im Jahre 1982. (Zitiert nach Branko Tosovic, Der Nobelpreisträger Ivo Andric in Graz. Andric-Initiative Bd. 1, Graz 2008). In der Dissertation finden sich zahlreiche Themen, die "später als Quelle für seine Romane und Erzählungen herangezogen" wurden (Ivo Andric Gesellschaft, Beograd). Mit der Herausgabe dieses Bandes würdigt der Wieser Verlag den großen Erzähler und Nobelpreisträger (und legt nach dem Erzählband "Buffet Titanic",1995) sein theoretisches Grundlagenwerk vor, das in den jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen mystifiziert und diskreditiert wurde. Gerade weil ihr Inhalt "sogar vielen Fachleuten nicht ausreichend bekannt ist, rund um sie eine wahre Mystifizierung entbrannt, falsche Interpretationen gegeben und Schlussfolgerungen gezogen" werden, wie Branko Tosovic feststellt, finden wir die Einzelpublikation der Disseration für hilfreich, das Werk des großen Erzählers neu zu lesen und zu verstehen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit großer Dankbarkeit hat Michael Martens zur jetzt zugänglich gemachten Dissertation des Literaturpreisträgers Ivo Andric von 1961 gegriffen. Die darin zum Ausdruck kommenden Ressentiments und der von politischen Rücksichten geprägte Türkenhass sind ihm zwar unbehaglich, dafür hat er aber eine Schatzkiste voller Motive und Figuren für Andrics späteres Werk gefunden, wie er erfreut kundtut. Der Autor war, bis er sich 1941 ganz aufs Schreiben verlegte, Diplomat und stellvertretender Außenminister von Bosnien, und seine 1924 erschienene Doktorarbeit steht deshalb ganz im Schatten der Politik, erfahren wir vom Rezensenten. Martens liest hier mit wachsender Irritation "Worte und Urteile aus einer anderen Zeit". Dafür entdeckt er in der Dissertation aber einen "Schlüssel" für das spätere Werk des Schriftstellers, dem man nicht nur die Freude an der Sprache anmerkt, sondern der sich für seine Romane durchaus an Motiven und Figuren seiner akribischen Recherchen und Quellenarbeit bediente. Gerade angesichts der Tatsache, dass es noch keine deutschsprachige Lebensbeschreibung über Andric gibt, findet der Rezensenten diese Doktorarbeit so wertvoll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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