Im Schatten des Fluchs
"Die Frauen der Familie Flores" von Angélica Lopes ist ein tiefgründiger, feinfühlig erzählter Roman über Mut, Widerstand und die Kraft weiblicher Solidarität über Generationen hinweg. In zwei miteinander verwobenen Zeitebenen – dem Brasilien des Jahres 1918 und dem Rio de
Janeiro von 2010 – entfaltet sich eine Familiengeschichte, die nicht nur persönlich, sondern auch…mehrIm Schatten des Fluchs
"Die Frauen der Familie Flores" von Angélica Lopes ist ein tiefgründiger, feinfühlig erzählter Roman über Mut, Widerstand und die Kraft weiblicher Solidarität über Generationen hinweg. In zwei miteinander verwobenen Zeitebenen – dem Brasilien des Jahres 1918 und dem Rio de Janeiro von 2010 – entfaltet sich eine Familiengeschichte, die nicht nur persönlich, sondern auch politisch ist.
Im Zentrum steht Eugênia, eine kluge und entschlossene junge Frau, die gegen ihren Willen mit einem gewalttätigen Offizier verheiratet wird. Was zunächst wie ein Schicksal ohne Ausweg scheint, wird für Eugênia zur Herausforderung, der sie sich mit stillem Mut stellt. Ihre Waffe ist kein Schwert, sondern die feine Nadel ihrer Spitzenkunst – und ein geheimer Code, den sie in die Muster einwebt, um ihre Flucht zu planen.
Besonders gut gefällt mir, wie die Autorin die Lebensumstände der Frauen um 1900 schildert; von den Zwängen und Unterdrückungen bis hin zum mutigen Akt der Kommunikation durch eine kunstvolle Codierung. Die Autorin vermittelt eine tief empfundene Atmosphäre, in der die Kunst des Stickens als Symbol für Mut, Hoffnung und Widerstand dient.
Der Roman besticht durch seine ruhige, leise Erzählweise, die im Kontrast zu manch greller feministischer Literatur steht. Gerade diese Zurückhaltung verleiht der Geschichte Tiefe und macht die stille Rebellion der Frauen umso eindrücklicher.
Hundert Jahre später beginnt Eugênias Nachfahrin Alice durch ein altes Stück Spitze die verborgene Geschichte ihrer Familie zu entschlüsseln. Dabei wird deutlich, dass der Kampf um Freiheit, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit über Generationen weitergetragen wird, wenn auch in anderer Form.
Frau Lopes gelingt es, eine dichte Atmosphäre zu schaffen, in der man Hitze, Staub und die angespannte Konzentration der Frauen beim Klöppeln beinahe körperlich spürt. Die Sprache ist ruhig, aber kraftvoll, der Ton nicht schrill, sondern eindringlich. Besonders beeindruckend ist, wie subtil das Buch die strukturelle Gewalt jener Zeit sichtbar macht – ohne zu dramatisieren, aber auch ohne zu beschönigen.
"Die Frauen der Familie Flores" ist kein aufrüttelnder Protestroman, sondern eine leise, aber nachhaltige Erzählung über weibliche Stärke, die sich nicht durch Lautstärke, sondern durch Beharrlichkeit auszeichnet. Ein außergewöhnliches Buch, das zeigt, wie viel Widerstand in scheinbarer Stille liegen kann und wie Vergangenheit und Gegenwart einander spiegeln. 4 Sterne und eine Leseempfehlung.