Belarus – bei vielen von uns ist dieses Land, gleich hinter unserem Nachbarn Polen, ein weißer Fleck auf der inneren Landkarte. „Lukaschenko“, „letzte Diktatur Europas“, „Todesstrafe“, „irgendwie russlandtreu, glaube ich“ … Aber dann hört es auch schon auf. Im Sommer 2020 änderte sich diese
Unsichtbarkeit, als die Belarussen auf die Straße drängten, um gegen Lukaschenkos Fälschung der letzten…mehrBelarus – bei vielen von uns ist dieses Land, gleich hinter unserem Nachbarn Polen, ein weißer Fleck auf der inneren Landkarte. „Lukaschenko“, „letzte Diktatur Europas“, „Todesstrafe“, „irgendwie russlandtreu, glaube ich“ … Aber dann hört es auch schon auf. Im Sommer 2020 änderte sich diese Unsichtbarkeit, als die Belarussen auf die Straße drängten, um gegen Lukaschenkos Fälschung der letzten Wahlen zu protestieren. Für kurze Zeit waren wir gebannt von dem Mut der Bürger, die, trotz der Repressalien, der Verhaftungen, der Gefahr, gefoltert zu werden, weiter demonstrieren gingen und gerechte Wahlen forderten. Doch irgendwann wurden die Proteste kleiner, die internationale Presse zog ab, das Land blieb sich selbst überlassen, während der Rest der Welt sich wieder auf Corona und die drohende Herbstwelle konzentrierte.
Aber für viele Belarussen ist der Kampf und Alptraum noch lange nicht zu Ende. Ende Januar 2022 sitzen noch über 1000 politische Gefangene in belarussischen Gefängnissen (Quelle: www.100xsolidaritaet.de), die meisten wegen ihrer Beteiligung an den Protesten. Etliche befinden sich nach wie vor im Exil, versuchen, von dort aus weiterzumachen. Kämpfen für ein freieres Land und gerechte Wahlen und haben Sehnsucht nach der Heimat und ihren Angehörigen.
„Die Frauen von Belarus“ von Alice Bota ist ein großartiger Beitrag, diese Menschen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Der Titel mag am Anfang etwas verwirren, lässt er doch glauben, die Proteste in Belarus wären rein weiblich und vielleicht sogar feministischer Natur gewesen. Doch der Grund Botas, sich auf die Frauen der Ereignisse zu konzentrieren, wächst vor allem daraus, dass im Herzen der Aktionen tatsächlich Frauen stehen – wenn auch in manchen Fällen unfreiwillig. Und diese Tatsache in einer politischen Umgebung, die weitestgehend von Männern gemacht ist, ein komplementär wichtiger und prägender Umstand ist.
Bota stellt drei Frauen in den Mittelpunkt ihres Buches: Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo, drei komplett unterschiedliche Frauen, die an Stelle ihrer Männer gerückt sind, nachdem diese von Lukschenko ausgeschaltet wurden. Und sich schließlich zusammengeschlossen haben, mit Tichanowskaja als offiziell zugelassener Präsidentschaftskandidatin, was zeigt, dass Lukschenko die Lehrerin und Hausfrau wohl grob unterschätzt haben muss.
Ich bin kein großer Sachbuchleser, aber „Die Frauen von Belarus“ hat mir sehr gut gefallen. Bota hat mich da abgeholt, wo mein Wissensstand war, nämlich so gut wie bei null. Und sie schafft es, alle nötigen Informationen so aufzuarbeiten, dass man ein gutes Bild bekommt, ohne sich von Fakten, Daten und Namen erschlagen zu fühlen. Gekonnt wechselt sie vom großen Bild ins Detail, was einem die persönlichen Schicksale näher bringt, verstehen lässt, wie viel Trauer und Ängste und Qualen viele Belarussen immer noch jeden Tag ertragen müssen.
Seit Putin die Ukraine überfallen hat, fällt der Name Belarus ab und an wieder in den Nachrichten. „Handlanger Russlands“, der Faktor X, von dem zusätzliche Gefahr für das Kriegsgeschehen aus nördlicher Richtung ausgehen kann. Die Menschen, die weiterhin für Demokratie und Gerechtigkeit kämpfen, ohne Unterstützung anderer Länder aber kaum eine Chance haben, sind weitestgehend in Vergessenheit geraten und auf sich selbst gestellt. Gerade deswegen sind Bücher wie „Die Frauen von Belarus“ so extrem wichtig. Und darum wünsche ich diesem spannenden und interessanten Buch viele, viele Leser.
Nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2022.