Rezension
Milan Kundera – Die Identität
„Die Männer drehen sich nicht mehr nach mir um“, schlussfolgert Chantal nach einem Spaziergang am Strand. Als Jean-Marc verspätet im Hotel eintrifft, sind sich die beiden fremd geworden.
Rettet Liebe, verrät sie? Oder beides?
Chantals wahre Identität
enthüllt sich mit einem fortschreitenden Erlöschen ihrer selbst und setzt anscheinend die…mehrRezension
Milan Kundera – Die Identität
„Die Männer drehen sich nicht mehr nach mir um“, schlussfolgert Chantal nach einem Spaziergang am Strand. Als Jean-Marc verspätet im Hotel eintrifft, sind sich die beiden fremd geworden.
Rettet Liebe, verrät sie? Oder beides?
Chantals wahre Identität enthüllt sich mit einem fortschreitenden Erlöschen ihrer selbst und setzt anscheinend die langjährige Beziehung aufs Spiel.
Nach dem Urlaub nimmt der arbeitslose Jean-Marc die Krise seiner Frau zum Anlass, dieser regelmäßig anonyme Liebesbriefe zukommen zu lassen. „Ich folge Ihnen wie ein Spion. Sie sind sehr, sehr schön“, heißt es da zum Beispiel.
Chantals Identität scheint gerettet. Sie ist erotisiert von ihrem kleinen Geheimnis, versteckt die Briefe sorgfältig in Schubladen und sucht auf den Straßen nach einem möglichen Verfasser. Bald jedoch wird ihr bewusst, dass es Jean-Marc ist, der die Briefe schreibt. Er erschuf ihrer Meinung nach das „Phantom eines Mannes und unterzog sie damit einem Test, der ihre Empfänglichkeit für die Verführungskunst eines anderen auf die Probe stellte“.
So glaubt Chantal fest daran, dass ihr Mann durch die Briefe eine Trennung einleiten möchte, welche dann in dem Spontanbesuch ihrer Schwester mündet.
Chantal reist ab, halb auf Geschäftsreise, halb auf der Suche nach ihrem damaligen Liebhaber „Britannicus“. Jean-Marc kauft von seinem letzten Geld ein Zugticket und folgt seiner Frau. In London findet er sie auf einer masochistischen Sexparty wieder und rettet sowohl Liebe als auch Vertrauen – so scheint es.
In seinem Roman verknüpft Milan Kundera die Probleme eines Durchschnittspaares mit der Angst, die eigene Identität zu verlieren.
Die dargestellten Intrigen und Geheimnisse zeigen ein allbewährtes Klischee auf, das schlussendlich in einem Albtraum zu enden droht. Die Sprache Kunderas in „Die Identität“ ist allerdings so poetisch und klar, dass es sich meiner Meinung nach um einen gelungenen und sehr authentischen Liebesroman handelt, der während seines Verlaufes immer wieder auf die Aussage abzielt: „Liebe rettet. Liebe verrät“.
Der finale Satz des Romans „Ich lasse die Lampe die ganze Nacht an. In allen Nächten“ zeugt einerseits von Angst, den Anderen zu verlieren, aber auch von der stetigen Existenz einer Spionage, wie Jean-Marc es mit seinen Liebesbriefen bewiesen hat. Briefe, die dann unscheinbar im gemeinsamen Briefkasten auf Chantal warteten.