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Ein neuer Kriminalfall aus Piemont, in dem der schweigsame Bergkauz und heimliche Menschenkenner Corso Bramard ermittelt: Bei dem Bau einer Bahnschnellstrecke zwischen Mailand und Turin werden die Überreste von zwölf Leichen gefunden, und eine Spur führt in die Zeit des italienischen Terrorismus, der Brigate Rosse. Im Turiner Herbst 1977 hatten ein paar Jugendliche den Parteisitz der rechten MSI in Brand gesetzt. Dabei war ein Mann ums Leben gekommen, der sich nachts in den Räumen aufhielt. Wussten die Jugendlichen, dass ein Mensch im Gebäude war? War alles nur ein Spiel der jungen Leute, in…mehr

Produktbeschreibung
Ein neuer Kriminalfall aus Piemont, in dem der schweigsame Bergkauz und heimliche Menschenkenner Corso Bramard ermittelt: Bei dem Bau einer Bahnschnellstrecke zwischen Mailand und Turin werden die Überreste von zwölf Leichen gefunden, und eine Spur führt in die Zeit des italienischen Terrorismus, der Brigate Rosse.
Im Turiner Herbst 1977 hatten ein paar Jugendliche den Parteisitz der rechten MSI in Brand gesetzt. Dabei war ein Mann ums Leben gekommen, der sich nachts in den Räumen aufhielt. Wussten die Jugendlichen, dass ein Mensch im Gebäude war? War alles nur ein Spiel der jungen Leute, in jenen aufgeheizten Zeiten, oder wollten sie wirklich einen Mord begehen? Niemand kennt die Antwort, die Jugendlichen sind seitdem spurlos verschwunden.
Fast vierzig Jahre später suchen zwei Kommissare und ihr ehemaliger Kollege Corso Bramard nach einer Verbindung zu jenem Fall. Die Drei geraten in einen schier unbezwingbaren Strudel aus italienischer omertà und Lüge. Und doch nähernsie sich beharrlich einer Wahrheit, die von der Politik unter den Teppich gekehrt wurde.


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Autorenporträt
Davide Longo Davide Longo, 1971 in Carmagnola im Piemont geboren, lebt in Turin, wo er am Literaturinstitut Scuola Holden unterrichtet. Er schreibt Prosa, Hörspiele und Drehbücher und wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Premio Grinzane Cavour für das beste Debüt und dem Premio Via Po. Sein Roman «Der aufrechte Mann» wurde von der Presse enthusiastisch aufgenommen, «Der Steingänger» sogar verfilmt. «Der Fall Bramard» begründet eine Krimireihe aus dem Piemont, die mit «Die jungen Bestien» fortgesetzt wird. Barbara Kleiner Barbara Kleiner, geboren 1952, lebt in München. Übersetzerin u.a. von Primo Levi, Ippolito Nievo, Italo Svevo, Paolo Giordano, Davide Longo; ausgezeichnet mit dem Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW, dem Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis und dem Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung.
Rezensionen
Lakritzbonbons und Potenzprobleme

Der italienische Schriftsteller Davide Longo legt wieder einen Kriminalroman vor

Es ist immer dasselbe Elend: ein Leichenfund auf unwegsamem Gelände, langwierige Untersuchungen, missmutige Zuständige, chronischer Schlafmangel und dann der Anruf des Polizeipräsidenten, der dem wackeren Commissario Arcadipane signalisiert, besser die Finger von der Sache zu lassen. Vincenzo Arcadipane, ein ebenso anständiger wie knarziger Polizist um die fünfzig, hat es satt.

Er steckt in der Krise, und sein privater Zustand ist für den neuen Roman von Davide Longo „Die jungen Bestien“ mindestens ebenso wichtig wie der Kriminalfall, um den das Ganze rotiert. Longo, Jahrgang 1971, in der piemontesischen Bergwelt verwurzelt und seit vielen Jahren Dozent an der Schreibschule Holden von Alessandro Baricco in Turin, hat seit seinem gelungenen Debüt „Der Steingänger“ (2007), immer wieder mit Strukturelementen des Krimis gearbeitet.

Dieses Mal lässt er sich sogar noch mehr auf das Genre ein und nimmt über seine Figuren einige lose Fäden des Vorgängerromans „Der Fall Bramard“ (2015) wieder auf. Denn Arcadipane war einst der Assistent des durch ein Gewaltverbrechen schwer gebeutelten Ex-Ermittlers Corso Bramard, der mittlerweile aber mit sich im Reinen ist, noch im Pensionsalter als Lehrer arbeitet und ihm schließlich weiterhilft. Dass die Vorgesetzten des Kommissars den grausigen Fund verdächtig schnell auf den Zweiten Weltkrieg und Racheaktionen unter Partisanen und Faschisten zurückführen, lässt Arcadipane misstrauisch werden. Tatsächlich sind ganz andere Verwerfungen der jüngeren Turiner Geschichte im Spiel: erste Aktionen der sich langsam radikalisierenden linksextremistischen Szene gegen Ende der Siebzigerjahre und Vergeltungsaktionen der Neofaschisten.

Hier kommt dem eigenbrötlerischen Polizisten, der sich den Anweisungen von oben stillschweigend widersetzt, der Zufall zu Hilfe: Sein ehemaliger Chef Bramard war zu Beginn seiner Karriere mit einem Brandanschlag auf die Parteizentrale der Neofaschisten 1977 befasst gewesen und erinnert sich an die Täter. Schützenhilfe leistet außerdem eine junge Kollegin mit schlechten Manieren namens Isa, ebenfalls eine alte Bekannte aus „Der Fall Bramard“, die sich auf Computer versteht und wegen ihrer unkonventionellen Methoden strafversetzt worden war. Die Künste der nerdigen Polizistin, die Lisbeth-Salander-mäßig auftritt, sind dieses Mal von besonderem Nutzen: Im Handumdrehen kann sie die Knochenprobe einem Studenten zuordnen, der damals von der Bildfläche verschwand.

Longo operiert mit Realitätspartikeln, am 1. Oktober 1977 war in der Turiner Innenstadt eine Demo der linksextremistischen Lotta Continua und des Potere Operaio tatsächlich vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Aus Rache für den Tod eines Genossen hatte man die Zentrale der neofaschistischen Partei MSI anzünden wollen, und als die Polizei den Demonstrationszug stoppte, setzte eine Splittergruppe die Bar „Angelo Azzurro“ mit Molotowcocktails in Brand, wobei ein unbeteiligter Mann zu Tode kam. In allen seinen Romanen vermittelt Davide Longo nicht nur die Ausläufer jener Kämpfe, sondern zeigt auch, wie tief sich die bürgerkriegsähnliche Situation nach 1943 in die italienische Gesellschaft eingeprägt hat und bis heute untergründig zahlreiche Auseinandersetzungen bestimmt.

Was die Konstruktion des Falles angeht, gibt es nichts zu beanstanden: „Die jungen Bestien“ ist gut aufgebaut, Dialoge treiben die Handlung voran, eine zweite Zeitebene ist geschickt mit den Geschehnissen verfugt, der Rhythmus stimmt, es gibt charakteristische Nebenfiguren, die Verknüpfungen sind überraschend und halten den Leser bei der Stange. Auch Longos Commissario Arcadipane besitzt mit seiner wortkargen Art, dem zwanghaften Rauchen und seiner Vorliebe für Lakritzbonbons genau die richtigen Marotten. Nur seine Lebenskrise nimmt im Gesamtgefüge des Romans zu viel Raum ein und droht mehrfach, ins Melodramatische zu kippen. Es hapert mit der Virilität, was ja an sich – gerade in dieser Berufsgruppe – ein ergiebiges Thema sein könnte. Dass sich Vincenzo Arcadipane ein Herz fasst und eine Psychologin aufsucht, ist also, vom dramaturgischen Standpunkt aus betrachtet, gar keine schlechte Idee, aber muss es sich ausgerechnet um eine neunmalkluge junge Frau mit verstümmelten Beinen handeln, die ihn aus therapeutischen Gründen auch mal beim Sex zuschauen lässt? Versehrte Gliedmaßen, die innere Versehrungen sichtbar machen sollen? Hier gerät „Die jungen Bestien“ in eine Schieflage; beide Figuren werden unglaubwürdig, ebenso wie die Wunderheilung nach fünf Terminen.

Es hapert insgesamt am Literarischen. Einem Genreroman darf man dies eigentlich nicht vorwerfen, aber Davide Longo hatte immer andere Ambitionen. Bei ihm schwangen Cormac McCarthy, Roberto Bolaño und die Piemontesen Beppe Fenoglio und Cesare Pavese mit. Doch dieses Mal gelingen ihm weder so dichte Naturbilder der piemontesischen Landschaft wie in „Der Steingänger“ oder „Der Fall Bramard“, noch besitzt „Die jungen Bestien“ die apokalyptische Kraft, die sein schillernder Science-Fiction Roman „Der aufrechte Mann“ (2012) entfaltet hatte. Wer weiß, vielleicht hat Arcadipane jetzt seine Krise überwunden. Dann bliebe seinem Erfinder Raum für Neues.

MAIKE ALBATH

Davide Longo: Die jungen Bestien. Roman. Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. 412 Seiten, Rowohlt Verlag, Hamburg 2020, 22 Euro.

Es hapert insgesamt am
Literarischen. Dabei hat Longo
eigentlich Ambitionen

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Longo ist schon lange kein Geheimtipp mehr, Longo ist ein Unikat, ein literarisches Juwel! Andreas Wallenthin WDR 5 20200425