Über das Erinnern jüdischer Überlebender der Shoah in der DDR als eigensinnige Praxis.Geschichte war ein streng reguliertes Feld in der DDR. Auch der staatlich forcierte Antifaschismus ließ, so die Annahme, kaum Spielräume für abweichende Narrative. Wie konnten daher jüdische Verfolgungserfahrungen und antifaschistische Überzeugungen unter staatssozialistischen Vorzeichen verhandelt und artikuliert werden? Welche Rolle spielten jüdische Überlebende in der DDR in der kulturellen Auseinandersetzung mit der Shoah und dem Nationalsozialismus? Diesen Fragen geht Alexander Walther in seiner Studie nach. Ausgehend von Nachlässen und Egodokumenten zeichnet er die Handlungsoptionen und Motivationen vor allem jüdischer, vereinzelt auch nicht-jüdischer Akteurinnen und Akteure nach. Neben einer Analyse früher Formen der Erinnerung und Wissensvermittlung stehen die Arbeiten des Schriftstellers Arnold Zweig, der Sängerin Lin Jaldati, des Historikers Helmut Eschwege, des Journalisten Heinz Knobloch sowie die Aktivitäten einzelner DDR-Verlage im Mittelpunkt der Arbeit. Dieser multiperspektivische Zugang zeigt, welche Strategien es gab, ein politisch vernachlässigtes und gesellschaftlich unerwünschtes Thema dennoch öffentlich zu platzieren und Akzente zu setzen. Dabei wird auch das Spannungsfeld zwischen eigensinnigem Handeln und teils parteiloyalen, mitunter schmerzhaften Zugeständnissen untersucht.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Jacqueline Boysen bespricht Alexander Walthers Buch über die Erinnerung an die Shoah in der DDR insgesamt klar positiv. Auch der Historiker Walther stellt Boysen zufolge zunächst klar, dass die jüdischen Opfer in der offiziellen Erinnerungspolitik des ostdeutschen Staates nicht vorkamen, dass stattdessen den verfolgten Kommunisten gedacht und die DDR-Bevölkerung insgesamt als antifaschistisch und damit geläutert dargestellt wurde - Nazis gab es nur im Westen. Das war freilich nur die offizielle Linie, daneben und dazwischen gab es Nischen, in denen Menschen Fragen stellen konnten, die die große Politik verdrängte. Teils waren diese Menschen selbst Holocaustüberlebende, teils auch Angehörige einer jüngeren Generation, die sich für jüdische Kultur und Geschichte zu interessieren begann, so Boysen mit Walther, insbesondere in der Literaturszene wurden derartige Erinnerungen immer wieder lebendig. Prominente Namen wie Christa Wolf und Arnold Zweig tauchen auf, wobei die Rezensentin sich gerade auch über die weniger prominenten mutigen Menschen freut, die dieses Buch ihr näher bringt. Über das Repressionsregime der DDR-Obrigkeit und den Antisemitismus in der DDR freilich, moniert Boysen, hätte Walther doch ein paar Worte mehr verlieren können. Insgesamt jedoch hat Boysen dieses Buch offensichtlich mit Gewinn gelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Manches bleibt ohne Deutung, doch gibt Alexander Walther mit seinem lesenswerten Band mehr als einen Denkstoß. Er bricht ein Klischee auf: Es waren längst nicht nur dank ihrer Bekanntheit geschützte Prominente, die Freiräume nutzten oder ihrem Gewissen folgten.« (Jacqueline Boysen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.12.2025) »Jüdisches Leben changierte in der DDR oft zwischen Vermächtnis, Auftrag und Eigensinn. (Walther) hat mit seiner Publikation der Forschung dazu einen weiteren wichtigen und gewichtigen Baustein hinzugefügt.« (Bernd Hüttner, antifa - Magazin für antifaschistische Politik und Kultur, November/Dezember 2025)







