Die Liebe führt Raoul Louper zu Elif, Francesca und Arlette und wieder von ihnen fort in andere Länder, auf andere Kontinente. Raoul Schrott hat eine Geschichte in hundert und einem Kapiteln geschrieben, eine Novelle, die von einem Mann und drei Frauen berichtet, von Reisen und der Begegnung mit dem Fremden.
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Das lustige Musikantenheer der Sandkörner: Raoul Schrott belebte die Wüste / Von Gennaro Ghirardelli
Es ist ein ziemlich einsamer, abgelegener Ort, "die unberührte Mitte der Erde" im uigurischen Sinkiang, jene Wüste Lop und der ausgetrocknete See Lop Nor (auf dem Schnittpunkt von 40,15 Grad nördlicher Breite mit dem 90,20. Längengrad), wo Raoul mit seiner dritten Geliebten Elif zu einem Ende kommt. "Es blieb uns nichts, als umzukehren." Diese Umkehr ist Rückkehr in die Erinnerung. Erinnerungen an Orte, an Begegnungen, an Anfänge, denn "alles liegt im Anfang begriffen" (Kapitel LV). Zwar hat sich Raoul "beständig in den Körpern getäuscht", doch bleibt ihm wenigstens die Erinnerung.
Diese poetische Novelle in CI Kapiteln beschwört in betörenden Bildern etwas, wofür der Autor fast zu jung ist: die Eremitensehnsucht. Noch zeugt sie mehr von Weltverfallenheit, da und dort genüßlich mit einer Prise Weltschmerz überzuckert, als von Weltflucht und Weltvergessenheit. Er weiß Geschichten zu erzählen, dieser Raoul Louper, weiß seine Erinnerung mit anderen Geschichten und mit Geschichte zu verbinden, daß dem Leser daheim auf seinem Sofa die Welt aufgeht in ihren Farben, mit ihren Gerüchen und Verlockungen der Ferne wie der Nähe. Distanz und Intimität, die Pferde werden gut an der Kandare geführt und hinterlassen ihre Spuren im Sand. Wie Sand und Wasser das Geschiebe der scharfkantigen Dünen durch Raum und Zeit vorantreiben, so schärft die einfache, klare Sprache Raoul Schrotts Gefühle in der Erinnerung.
Raoul mag sich in den Körpern der Frauen getäuscht haben, die Erinnerungen täuschen ihn nicht. Da paßt er auf und ist genau, dreht jedes Sandkorn zweimal um - damit hat er es nun einmal, mit Sand, Sandkörnern, Treibsand zumal - und schaut ihm nach, wie es durch den Engpaß der Zeit in die Erinnerung und die Geschichte rieselt. Und jedes dieser Sandkörner hat einen eigenen Ton, der sich mit dem der unzähligen anderen vermischt, bis dieses Schwingen und Dröhnen die ganze Wüste erfüllt, so wie das Dröhnen der Erinnerungen das Leben erfüllt, so wie in den zwei Varianten der von ihm erzählten Parabel der junge Musiker Sha-shan-ze in der Erinnerung des Mädchens als Spiel des Mondes widerhallt.
Man muß sich an dieser eigenartigen "Novelle" ein bißchen betrinken, muß in ihre mitunter augenzwinkernde Melancholie eintauchen, muß irgendwo hinter dem uralten Alexandria den Blick über die Dünung auf das Meer schweifen lassen. Da wird in der Erinnerung an die drei Frauen alles mögliche gestreift: Osiris und Seth, historische Figuren wie Alexander der Große in der Oase Siwa, in Kapitel XXXVIII auch der Hauch einer Erinnerung an Flauberts von dauernden Versuchungen heimgesuchten - und sich ebenfalls in den Körpern täuschenden - heiligen Antonius im Mondlicht über dem Nil (wobei "der Einsiedler, der dort oben lebte", eine Messe wohl eher las oder feierte denn "hielt"). Vor allem aber das Leben eines Mannes, der viel unterwegs war, ein Unruhiger, den es umtreibt, wie man den Eindruck bekommt.
Dann fährt man mit Raoul Louper wöchentlich in die Metropole Kairo, um an den Abenden dabeizusein, die er mit einem ungarischen Professor und dessen ägyptischer Frau, um die er den Professor insgeheim beneidet, verbringt. Abende, die er dort gar nicht verbringen will, die ihn nachträglich mürrisch machen und die doch alle drei gleichermaßen zu genießen scheinen. Mürrisch scheint er immer dann zu werden, wenn er über sich selbst spricht, von dem, was ihn umtreibt: die Erinnerung an das Leben - eben.
Raoul Schrott: "Die Wüste Lop Nor". Erzählung. Carl Hanser Verlag, München 2000. 124 S., geb., 28,- DM
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Eine poetische Novelle", die einem nach Gennaro Ghirardelli das innere Auge vor lauter exotischen Farben, Gerüchen, Verbindungen übergehen lässt. Er rät, sich am eigenartigen Tonfall der Novelle zu berauschen, einzutauchen in die Erinnerungen des Ich-Erzählers, der sich "zwar in den Körpern der Frauen getäuscht hat", den aber die Erinnerung nicht trügt, die mit "augenzwinkender Melancholie" daherkommt. Die Reise nach innen führt in die ägyptische Wüste und nach Kairo. Eine Erinnerung löst die nächste aus, schreibt Ghirardelli, den die alles andere als eintönige Wüstenbeschreibung, die darin zum Ausdruck kommende gleichzeitige Weltzugewandtheit und Weltflucht des Autors gepackt hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Es macht seine hohe Kunst aus, das blaue Licht der Romantik als Irrlicht neu, ebenso raffiniert wie erotisch, zum Leuchten zu bringen." Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung, 31.08.00 "Wie Sand und Wasser das Geschiebe der scharfkantigen Dünen durch Raum und Zeit vorantreiben, so schärft die einfache, klare Sprache Raoul Schrotts Gefühle in der Erinnerung." Gennaro Ghirardelli, F.A.Z, 18.10.00 "Was er in 101 Kapiteln erzählt, besticht durch lyrische Stimmungsbilder und durch notathafte Wahrnehmungen und Deutungen des wissensdurstigen Intellekts gleichermaßen ... Mit Die Wüste Lop Nor erweist sich Raoul Schrott als leicht melancholischer Enthusiast, der das Unterwegssein in den scheinbar unwirtlichsten Gegenden der Welt als Echoraum eigener und fremder Stimmen erlebt und die Sehnsucht und die Liebe dabei so elementar und überwältigend begreift wie einen Sandsturm in der Sahara." Thomas Kraft, Die Tageszeitung, 18.10.00 "Faszinierend, wie sinnlich diese Prosa wirkt: Sie riecht und schmeckt, sie entwickelt Farbe und Klang. Ein feiner und zugleich vitaler, stimmig durchkomponierter Text, der vor allem eines vorführt: daß gute Geschichten keiner Erklärung bedürfen, daß sie für sich stehen, manches Geheimnis preisgeben, andere in sich verschließen." Susanne Schaber, Die Presse, 28.10.00 "Raoul Schrott beschreibt die Schönheit des Vorübergehenden: Poetisch und mit geografischen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen angereichert. (...) Ihm ist etwas selten Schönes gelungen. Ein konzentrierter, einfacher Text, der gelassen von Elementarem spricht. Ein Destillat, mit dem Neugier geweckt und Erinnerung erhalten wird. Wie Wüstensand in einem Fläschchen." Carsten Hueck, Financial Times Deutschland, 02./03.12.00"'Die Wüste Lop Nor' ist ein poetisches Expeditionstagebuch aus den Wüsten der Kontinente. (...) Schrotts Novelle, aufgeschrieben wie etwas, das man nicht in Bibliotheken erfahren kann, 'handelt' nicht, sie hält fest, ohne jedoch Antworten zu diktieren. Stattdessen stellt sich die schöne Ahnung ein, dass es ein poetisches Zusammenspiel gibt von Mystik und Rationalität." Hauke Hückstädt, Der Tagesspiegel, 3.12.00