Wenn es zutrifft, daß jedes Werk aus der Vergangenheit nur in bestimmten Momenten seiner Geschichte zu seiner ganzen Lesbarkeit gelangt, so scheint für die Briefe des Paulus die Zeit jetzt gekommen. Giorgio Agamben gibt ihnen jenen messianischen Stellenwert zurück, der allein die Perspektive einer nunmehr zweitausendjährigen Deutungstradition neu ausrichten kann: Paulus gründet keine universelle Religion, indem er eine neue Identität und eine neue Berufung ankündigt, sondern er widerruft jede Identität und jede Berufung; er schafft das alte Gesetz nicht ab, sondern öffnet es zu einem Gebrauch,…mehr
Wenn es zutrifft, daß jedes Werk aus der Vergangenheit nur in bestimmten Momenten seiner Geschichte zu seiner ganzen Lesbarkeit gelangt, so scheint für die Briefe des Paulus die Zeit jetzt gekommen. Giorgio Agamben gibt ihnen jenen messianischen Stellenwert zurück, der allein die Perspektive einer nunmehr zweitausendjährigen Deutungstradition neu ausrichten kann: Paulus gründet keine universelle Religion, indem er eine neue Identität und eine neue Berufung ankündigt, sondern er widerruft jede Identität und jede Berufung; er schafft das alte Gesetz nicht ab, sondern öffnet es zu einem Gebrauch, der jenseits jeden Gesetzes liegt. Von der Paulinischen Botschaft bis zu den Thesen Über den Begriff der Geschichte Walter Benjamins (die bisweilen außerordentliche Entlehnungen aus ihr enthalten) bildet die Umkehrung von Vergangenheit und Zukunft, von Erinnerung und Hoffnung das Herzstück des Messianismus. Die messianische Zeit ist die Jetztzeit; als Segment der profanen Zeit zwischen der W
Giorgio Agamben wurde 1942 in Rom geboren. Er studierte Jura, nebenbei auch Literatur und Philosophie. Der entscheidende Impuls für die Philosophie kam allerdings erst nach Abschluß des Jura-Studiums über zwei Seminare mit Martin Heidegger im Sommer 1966 und 1968. Neben Heidegger waren seitdem Michel Foucault, Hannah Arendt und Walter Benjamin wichtige Bezugspersonen in Agambens Denken. Als Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins fand Agamben eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten wieder auf. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt sich Agamben vor allem mit politischer Philosophie. Er lehrt zur Zeit Ästhetik und Philosophie an den Universitäten Venedig und Marcerata und hatte Gastprofessuren u.a. in Paris, Berkeley, Los Angeles, Irvine.
Rezensionen
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Reserviert betrachtet Rezensent Ekkehard W. Stegemann diesen Kommentar zu Paulus' Römerbrief, den der Philosoph Giorgio Agamben vorgelegt hat. Merklich distanziert referiert er dessen Auslegung der messianischen Idee bei Paulus, die auf die "Aufhebung des Ausnahmezustands" ziele. Er kritisiert Agambens weitgehende Ausblendung des realgeschichtlichen politischen Kontextes der Römerbriefe. Die Auslegungen des Autors wirken auf Stegemann daher überaus blass. Auch scheinen sie ihm stark von Agambens Lektüre Benjamins und Carl Schmitts geprägt. Zudem hält er dem Autor vor, mit neueren historisch-kritischen und bibelwissenschaftlichen Diskursen völlig unvertraut zu sein und lediglich "marginale" und "veraltete" Texte konsultiert zu haben. Die neue Paulus-Perspektive sei ihm ebenso unbekannt wie die englischsprachige Forschung zu Paulus als Autor im Imperium Romanum. Ärgerlich findet er schließlich die zahlreichen philologischen Fehler, die einem vernünftigen Lektorat hätten auffallen müssen.